Die beste aller Welten#
Die Geschichte des jüdischen Unternehmersohns Walter Foster, der 1938 aus Wien flüchten musste, in England als feindlicher Deutscher behandelt wurde - und trotzdem nicht verbitterte.#
Von der Wiener Zeitung (Freitag, 22. Jänner 2010) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Von
Katharina Schmidt
Sein Leben spiegelt die Geschichte des 20. Jahrhunderts wider: Walter Fast wurde am 25. Juni 1923 in Wien als Sohn eines jüdischen Unternehmers geboren, und starb am 27. Dezember 2009 als Walter Jonathan Foster in London. Seine Arbeit widmete er der Verständigung zwischen seinem Heimatland Österreich und seiner Wahlheimat Großbritannien, in die er kurz nach der Reichspogromnacht 1938 flüchten musste.
Fosters Eltern, Heinrich und Josefine Fast, stammten ursprünglich aus Ostgalizien, erst Anfang des 20. Jahrhunderts ließen sie sich in Wien nieder. Der Vater, ein studierter Jurist, übernahm 1919 die "Klosterneuburger Wagenfabrik", kurz "Kawafag", die er in ein modernes Unternehmen umwandelte, indem er sie zu einer der ersten Produktionsstätten für Holz-Fertigteilhäuser ausbaute. Diese wurden etwa beim Bau der Großglockner Hochalpenstraße als flexible Arbeiterwohnungen oder als Wochenendhäuser eingesetzt.
Heinrich Fast war nicht besonders religiös, aber ein glühender Zionist. Wie sein Sohn Walter später in seinen Memoiren schrieb, hat der "Zionismus sein Leben gerettet": Heinrich hätte freiwillig niemals Wien verlassen - außer, um nach Palästina zu gehen. Walter, sechs Jahre nach seinem Bruder Alfred geboren, war das Nesthäkchen, von der Mutter umsorgt und beschützt mit einer "fast schon erdrückenden" Liebe. Die Sommer seiner Kindheit verbrachte er in den Ferienhäusern der Familie in Klosterneuburg und Reichenau an der Rax - natürlich "Kawafag"-Bauten.
Doch die behütete Kindheit sollte bald ein Ende haben. Nach dem "Anschluss" wurde Walters Schule, das Realgymnasium Kandlgasse, "gesäubert"; er musste das Schuljahr in einem anderen Bezirk beenden, wo er wegen eines anderen Lehrplans in nur sechs Wochen fünf Jahre Englischunterricht nachholen musste - Kenntnisse, die ihm später von Nutzen sein sollten. Im September kam Walter nur mehr in der letzten verbliebenen jüdischen Privatschule unter. Dort wurden die Schüler statt mit dem normalen Lernstoff mit praktischem Wissen gefüttert, das "in Gastländern brauchbar sein könnte".
Die Brüder Fast unternahmen ab März 1938 alles, um auswandern zu können. Nicht so Heinrich Fast: Er wollte ihnen zwar eine Ausbildung im Ausland finanzieren, glaubte aber, "wenn Hitler seinen dummen Antisemitismus aufgegeben hätte, wären wir zurückgekehrt und hätten die Kawafag übernommen". Erst mit der Reichspogromnacht im November wurde auch den Eltern die Dramatik der Situation bewusst: Vater Heinrich wurde verhaftet und nach Dachau gebracht. Dort zwangen ihn die Nazis zum "Verkauf" der "Kawafag" - für eine Ausreisegenehmigung und jene 1000 Pfund, die damals für ein Immigrationszertifikat nach Palästina nötig waren. In Wien organisierte die Mutter in kürzester Zeit einen Platz für Walter in einem Kindertransport nach England; Alfred sollte drei Monate später auf seinem Weg in die USA nachkommen - er ließ sich nach dem Krieg als Architekt in Seattle nieder.
Am 17. Dezember 1938 verließ Walter Österreich mit dem Zug Richtung England. Nach einigen Monaten in einem improvisierten Lager im südostenglischen Dovercourt kam er nach Ilford bei London, wo er am South East Essex Technical College neben dem Umgang mit Werkzeugen und Maschinen "jede Menge englischer Schimpfworte" lernte.
"Bloody Germans"#
Und wieder gehörte Walter zu den Ausgestoßenen: Jetzt wurden die Flüchtlinge zwar nicht als Juden beschimpft, aber als "bloody Germans". Alles in allem habe er aber keine schlechte Zeit in England gehabt, meint Foster: Er sei froh gewesen, fort aus Wien zu sein. Doch er machte sich Sorgen um seine Eltern.
Denn der Vater war zwar mittlerweile aus Dachau entlassen worden, doch statt sofort zu flüchten, wollte er noch seine Sachen in Ordnung bringen. In buchstäblich letzter Minute - kurz vor Kriegsausbruch - gelang den Eltern die Flucht über Triest und Haifa nach Tel Aviv, wo Walters Mutter 1941 starb, ohne dass er sie wieder gesehen hätte.
Denn am 16. Mai 1940, wenige Tage nachdem die Deutschen die neutralen Benelux-Länder angegriffen hatten, wurde Walter festgenommen und als "enemy alien" auf die Isle of Man gebracht. Ende Juni meldete sich der 17-Jährige freiwillig für die Verschiffung nach Kanada - wie er glaubte.
Auf dem berüchtigten Truppentransporter "HMT Dunera" kam Walter gemeinsam mit hunderten anderen Flüchtlingen und Kriegsgefangenen Anfang September 1940 statt in Kanada in Sydney in Australien an. Auch an das Lager in Hay im Bundesstaat New South Wales, wo er fast ein Jahr verbrachte, hat Walter keine schlechten Erinnerungen: "Abgesehen von der Erfahrung auf der Dunera ist mir nichts besonders Unangenehmes passiert", schreibt er. In Hay habe es keine Zwangsarbeit, viel Sonne und genug zu essen gegeben. Nur die Langeweile und die Frustration, keinen Einfluss auf den Krieg nehmen zu können, hätten an ihm genagt.
Um dem Abhilfe zu schaffen, meldete sich Walter - wie mehr als 10.000 andere "enemy aliens" - freiwillig zum "Aliens Pioneer Corps" der britischen Armee. Nach einer Odyssee durch Australien landete Foster Anfang 1942 wieder in England. Anfangs musste er als Ausländer in der Armee die Drecksarbeit machen und Graben aus der schlammigen Erde ausheben, später konnte er auch Fortbildungskurse besuchen.
Nach Kriegsende meldete sich Walter Foster, wie er ab 1943 offiziell hieß, erneut freiwillig: Als Übersetzer im besetzten Deutschland. In Münster half er bei der Überprüfung von Nazi-Funktionären. Selbst hier blieben Rachegefühle aus: In den Gefängnissen Westfalens habe er gelernt, dass "die Todesstrafe unter keinen Umständen gerechtfertigt ist".
Erst 1946, nach seinem Austritt aus der Armee und 12 Jahre nach seiner Flucht aus Wien, wurde Walter wieder sesshaft: Er begann ein Studium der internationalen Beziehungen an der London School of Economics, wo er auch seine spätere Ehefrau Rachel kennen lernte, und nahm die britische Staatsbürgerschaft an. 1950 startete er seine Karriere bei der Anglo-Austrian-Society, der er bis zu seiner Pensionierung 1992 treu blieb - zuerst als Sekretär, ab 1959 als Generalsekretär. Die Gesellschaft wurde 1944 auf der Basis der Moskauer Deklaration gegründet, mit dem Ziel, das Schicksal Österreichs einer breiten britischen Öffentlichkeit verständlich zu machen und zur Wiederherstellung der Unabhängigkeit beizutragen. Aus finanzieller Hilfe wurde bald ein kultureller Auftrag: Am Höhepunkt ihrer Aktivitäten Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre organisierte die Society Austausch-Aufenthalte für jährlich 16.000 britische und österreichische Schüler. Darunter waren viele bedürftige österreichische Kinder, die ihre Ferien kostenlos in England verbringen durften. Die Anglo-Austrian-Music-Society ermöglichte auch viele Gastspiele österreichischer Künstler - von den Sängerknaben bis zur Hofreitschule - in England.
Mitgefühl und Toleranz#
Walter Foster hat - wie aus seinen Aufzeichnungen deutlich hervorgeht - den Österreichern, die ihn aus seiner Heimat vertrieben hatten, und den Briten, die den Flüchtling als Feind behandelten, verziehen. Sein Leben lang war er für die Verständigung zwischen den beiden Ländern aktiv, reiste unzählige Male nach Österreich und nahm auch seine Kinder und Enkel immer wieder in die alte Heimat mit, und natürlich in das - als eines der wenigen Besitztümer der Familie restituierte - Ferienhaus in Reichenau.
Mitgefühl, Toleranz und Verständnis waren Fosters Lebensleitlinien, wie sein Sohn David in seinem Nachruf schreibt. Warum sein Vater so frei von jeglicher Bitterkeit war, hat er ihm nie erklärt. Er habe fest an Voltaires "Candide ou l´optimisme" (Deutsch: "Candide oder die beste aller Welten") geglaubt: Dass "alles sich zum Guten wendet und diese Welt die beste aller Welten ist", sagt David. "All for the best" lautet denn auch der Titel von Walters Memoiren, die er gemäß der jüdischen Tradition für seine Nachkommen aufgeschrieben hat.
Walter Foster wurde für seine Bemühungen um die Völkerverständigung mit dem Goldenen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich und dem "Order of the British Empire" ausgezeichnet. Er hinterlässt seine Ehefrau, drei eigene Kinder, ein Pflegekind und zehn Enkel.
Katharina Schmidt ist Historikerin und Innenpolitik-Redakteurin der "Wiener Zeitung".