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unbekannter Gast

Impfen & Verantwortung #

Die nun verfügbaren Vakzine gegen Covid-19 werfen viele ethische Fragen auf: von der Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen bis zur Priorisierung – national und global. Ein Gastkommentar. #


Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: Die Furche (14. Jänner 2021)

Von

Ulrich H.J. Körtner


Das Christentum ist die Religion der Freiheit. „Zur Freiheit hat uns Christus gefreit!“, schreibt der Apostel Paulus (Galater 5,1). Freiheit im biblischen Sinne ist aber rückgebunden an die Nächstenliebe und die Fürsorge für den anderen. Das meint Martin Luther, wenn er schreibt, ein Christenmensch sei ein freier und niemandem untertan, zugleich aber ein dienstbarer Knecht und jedermann untertan. Untertan sein: Das klingt nach autoritärer Gesinnung. Luther geht es freilich nicht um Untertanengeist, sondern um Verantwortungsbewusstsein.

So gesehen ist seine Doppelthese hochaktuell: Nicht Untertanengeist, sondern Verantwortungsbewusstsein zeigt, wer Hygienevorschriften und sonstige Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie befolgt. Wer Verschwörungstheorien verbreitet oder gegen den vermeintlichen „Corona-Wahnsinn“ der Regierung polemisiert, handelt verantwortungslos. Christlicher Glaube weiß sich dem Gemeinwohl verpflichtet.

Ein konkretes Beispiel ist das Impfen. Die Bereitschaft dazu ist in Österreich nicht allzu hoch ausgeprägt. Aber ist schon jetzt klar, dass wir die Corona-Pandemie ohne flächendeckende Impfungen nicht besiegen werden, sondern weiter von einem Lockdown in den nächsten geraten. Solange nicht sicher ist, dass Geimpfte auch keine anderen Menschen mehr anstecken können, lässt sich zwar keine allgemeine Impfpflicht rechtfertigen. Ich sehe aber eine moralische Verpflichtung, sich impfen zu lassen, weil jeder Patient weniger auf den Covid-Stationen und den Intensivstationen das Gesundheitswesen entlastet. Dass dieses auch weiterhin funktionsfähig bleibt, dafür tragen wir alle gemeinsam Verantwortung.

Es kommt auf jede und jeden an #

Auch für Gesundheitsberufe ist eine Impfpflicht rechtlich derzeit problematisch. Weil es aber gerade jetzt in der äußerst angespannten Lage in den Spitälern und Pflegeeinrichtungen auf jede und jeden von ihnen ankommt, sehe ich diese Personen ganz besonders gefordert, für ihre Gesundheit Sorge zu tragen – und das nicht nur im eigenen Interesse, sondern weil Patienten und Heimbewohner auf ihre Hilfe dringend angewiesen sind. Eingriffe in die persönliche Freiheit und Grundrechte müssen gut begründet sein. Grundsätzlich ist aber festzuhalten: Wir leben weiterhin in einem Rechtsstaat, nicht in einem Polizeistaat. Eine freiheitliche Gesellschaft kann sich aber nicht allein auf gesetzliche Vorschriften, auf staatliche Kontrollen und Sanktionen stützen. Sie ist in starkem Maße auf das Verantwortungsbewusstsein ihrer Mitglieder angewiesen.

Es wird darüber diskutiert, ob die Impfbereitschaft wie auch die Bereitschaft zu Testungen besser durch Sanktionen oder durch Anreize – englisch nudging – erhöht wird. Zweierlei ist dazu anzumerken. Erstens: Dass die Impfung für die gesamte Bevölkerung kostenlos ist, ist an sich schon ein Privileg. Zusätzlich Anreize zu fordern, ist ungerechtfertigt. Zweitens: Die Diskussion geht in eine falsche Richtung, wenn die Wiedererlangung von Freiheiten nach erfolgter Impfung als Privileg bezeichnet wird. Es geht schlicht um Voraussetzungen für die Wiederherstellung verfassungsrechtlich garantierter Grundrechte. Nicht die Freiheiten, sondern ihre Beschneidung bedürfen der Rechtfertigung. Die Rede von Privilegien wirft uns in die vordemokratische Geisteshaltung einer Feudalgesellschaft zurück.

Solange es Impfstoffe noch nicht in ausreichender Menge gibt, sind Priorisierungen nötig. Die Höhe des Krankheitsrisikos ist ein entscheidendes Kriterium und eine Frage der Gerechtigkeit. Dass Inhaftierte in Gefängnissen, Asylsuchende oder Obdachlose in beengten Gemeinschaftsunterkünften vor Lehrern oder Polizisten geimpft werden, hat hier und da für Irritationen gesorgt. Wenn aber die Verletzlichkeit die Basis ist, ist die Vorreihung dieser Menschen absolut nachvollziehbar. Sie sind einem hohen Risiko ausgesetzt und in ihrer Bewegungsfreiheit – Straffällige beispielsweise durch ihre Inhaftierung – stark eingeschränkt. Eine Gesellschaft, die das nicht erkennt, wäre inhuman.

Jeder wieder sich selbst der Nächste? #

Humanität, Solidarität und Gerechtigkeit dürfen jedoch nicht an den Grenzen unseres Landes oder an den Grenzen Europas enden. Die Strategie der EU, gemeinsam mit den Impfstoffherstellern zu verhandeln und die Kontingente einvernehmlich aufzuteilen, war richtig. Inzwischen ist freilich der Druck in den Mitgliedstaaten gewachsen, im Alleingang Zusatzkontingente zu kaufen. Es stünde schlimm um Europa, wenn am Ende doch wieder jeder sich selbst der Nächste ist.

Rückblickend lässt sich leicht kritisieren, dass die EU anfangs zu wenig Impfdosen bestellt hat. Auch konnte man im vergangenen Sommer noch nicht wissen, welche Pharmafirmen das Rennen im Wettlauf um einen wirksamen Impfstoff machen würden. Verschärft wurde die Lage aber zusätzlich durch einen desaströsen Start der Impfkampagne, für den nicht allein der Gesundheitsminister und sein Beamtenapparat verantwortlich sind. Wichtig ist, was man aus den Versäumnissen für die Zukunft lernt.

In der innenpolitischen Diskussion über die politische Verantwortung und eine zügigere Impfstrategie geraten die ärmeren Länder aus dem Blick. Zu Recht mahnt der deutsche Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble: „Wir können unsere Ungeduld nicht zum Maß aller Dinge machen und den Menschen in ärmeren Weltregionen den Impfstoff wegschnappen.“ Von heimischen Politikern hört man dergleichen leider nicht.

Die Initiative „Covax“ der 20 führenden Wirtschaftsmächte, die der Weltgesundheitsorganisation bis Jahresende zwei Milliarden Impfdosen zur Verfügung stellen will, bleibt vorerst eine Absichtserklärung. NGOs haben sich in der Initiative „People‘s Vaccine Alliance“ zusammengeschlossen. Hier ist auch das Wort der Kirchen gefragt.

Der Autor ist Professor für Reformierte Theologie an der Evang.-Theol. Fak. der Uni Wien

Die Furche, 14. Jänner 2021


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