Kann ich mich als Patient gegen lebensverlängernde Maßnahmen wehren? (Essay)#
Andreas Kratschmar
Ärzte sind gesetzlich nicht verpflichtet, einen unabwendbaren Sterbeprozess gegen den Willen des Patienten zu verlängern. Die ärztliche Behandlungspflicht und ihre Grenzen sind durch zwei gesetzliche Bestimmungen klar beschrieben:
§ 22 (1) ÄrzteG: Ziel der ärztlichen Tätigkeit ist das Wohl der Kranken. Der Arzt ist verpflichtet, jeden von ihm in ärztlicher Beratung oder Behandlung übernommenen Gesunden oder Kranken ohne Unterschied der Person gewissenhaft zu betreuen. Er hat hierbei nach Maßgabe ärztlicher Wissenschaft und Erfahrung sowie unter Einhaltung der bestehenden Vorschriften das Wohl der Kranken und den Schutz der Gesunden zu wahren.
§ 110 (1) StGB: Zur Heilbehandlung bedarf es der Zustimmung des Patienten. Wer einen anderen ohne dessen Einwilligung, wenn auch nach den Regeln der medizinischen Wissenschaft, behandelt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen. Aufgrund des Verbots der eigenmächtigen Heilbehandlung dürfen Patienten ohne Einwilligung – außer bei Gefahr im Verzug und abgesehen von gesetzlich geregelten Fällen des Behandlungszwanges – nicht gegen ihren ausdrücklichen Willen behandelt werden. Der einwilligungsfähige Patient hat das Recht, durch die Behandlungsverweigerung den Abbruch einer Therapie zu erzwingen, selbst wenn dies seinen Tod herbeiführen könnte (z. B. Verweigerung der Bluttransfusion bei Zeugen Jehovas).
In § 8 Abs. 3 KAKuG (Krankenanstalten und Kuranstaltengesetz) findet sich die Bestimmung, dass Behandlungen an einem Patienten nur mit dessen Zustimmung oder mit der Einwilligung eines gesetzlichen Vertreters durchgeführt werden dürfen; eine Ausnahme besteht nur bei Gefahr im Verzug.
Eine gesetzliche Regelung gibt es auch für die Dokumentation in Spitälern. Die Träger der Krankenanstalten sind nach § 10 KAKuG bei der Führung der Krankengeschichten dazu verpflichtet, eine im Voraus verfügte Behandlungsverweigerung zu dokumentieren. Durch diese Bestimmung nicht geregelt ist allerdings die Rechtserheblichkeit der dokumentierten Verfügung.
Jeder Patient hat das Recht, eine medizinische Behandlung abzulehnen. Solange der Patient bei Bewusstsein ist, kann er sich entsprechend äußern. Für den Fall, dass man nicht mehr dazu in der Lage ist, seinen eigenen Willen mitzuteilen, kann man das Instrument der Patientenverfügung nutzen.
Eine Patientenverfügung ist eine schriftliche Willensäußerung einsichts- und urteilsfähiger Patienten, mit der sie im Voraus bestimmte medizinische Behandlungen für den Fall ablehnen, dass sie nicht mehr einsichts und urteilsfähig sind oder sich nicht mehr verbal oder nonverbal äußern können.
Am 29.März 2006 beschloss der Nationalrat ein eigenes Patientenverfügungsgesetz: Dieses Gesetz unterscheidet zwischen beachtlichen und verbindlichen Patientenverfügungen. Beide Formen müssen in Zukunft von behandelnden Ärzten als ausdrücklich dokumentierter Wille eines nicht mehr kommunikationsfähigen Patienten anerkannt werden.
Die beachtliche Patientenverfügung ist eine Richtschnur für das Handeln des Arztes und muss in dessen Entscheidungsfindung einfließen. Sie sollte bei ihrer Errichtung mit einem Arzt besprochen werden, um zu erkennen, welche medizinischen Maßnahmen abgelehnt werden können und was die Folgen davon sind. Im Sinne des Gesetzes sind bisher errichtete Patientenverfügungen beachtliche Patientenverfügungen. Es gibt hierfür keine strengen Formerfordernisse.
Die verbindliche Patientenverfügung wird aufgrund der sehr strengen Kriterien insbesondere für einen kleinen Teil der Menschen mit bekannter Grunderkrankung in Frage kommen. Voraussetzung für diese Form ist, dass die abgelehnten Maßnahmen ganz konkret beschrieben werden und dass der Patient aufgrund eigener Erfahrung die Folgen der Ablehnung zutreffend einschätzen kann. Eine verbindliche Patientenverfügung erfordert zwingend eine umfassende Aufklärung durch einen Arzt, der dies auch bestätigen muss. Darüber hinaus muss sie schriftlich unter Angabe des Datums vor einem Anwalt, einem Notar oder rechtskundigen Mitarbeiter der Patientenvertretung errichtet werden.
Die verbindliche Patientenverfügung gilt jeweils für fünf Jahre und muss dann nach den gleichen strengen Kriterien wieder bestätigt werden. Eine Patientenverfügung darf nur persönlich und nicht von einem Stellvertreter (auch nicht von einem Sachwalter) errichtet werden. Sie kann jederzeit formlos widerrufen werden.
Dieser Essay stammt mit freundlicher Genehmigung des Verlags aus dem Buch: