Tofu unser #
Unter den Ersatzreligionen sind Vegetarismus und Veganismus die häufigsten. #
Von der Wiener Zeitung (Freitag, 19. Februar 2016 ) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Von
Edwin Baumgartner
Als ob die großen monotheistischen Religionen nicht genug Unheil angerichtet hätten! „Du sollst keine anderen Götter neben mir haben“, donnerte Jahwe. Doch er hat Konkurrenz bekommen. Jetzt keilen auch Missionare ganz anderer Glaubensrichtungen um Schäfchen: Raucher, Nichtraucher, Vegetarier, Veganer, Tierschützer, Umweltschützer, Fitnessjünger, Esoteriker. Und sogar Atheisten.
Ersatzreligionen gehören zum modernen säkularisierten Alltag. Nicht nur scheint der Mensch über eine natürliche Religiosität zu verfügen, die etwa dann zum Vorschein kommt, wenn das Flugzeug in größere Turbulenzen gerät und der überzeugte Atheist plötzlich ein Stoßgebet zum Himmel richtet, den er vernunftmäßig für leer erachtet. Der Mensch scheint auch einen gewissermaßen natürlichen Missionierungstrieb zu besitzen. Und der ist für die Mitwelt wesentlich lästiger als die privaten religiösen Auffassungen.
Zum Ersatzgott kann alles werden, wenn es auf der individuellen Werteskala hoch genug steigt, ob das nun das gepflegte Auto in der Garage ist, die Briefmarkensammlung oder die Fußballmannschaft. Aber es ist der Missionierungstrieb, der den Unterschied prägt zwischen einer persönlichen Überzeugung und einer ganzen Ersatzreligion.
Missionstätigkeit #
Wenn man Mitmenschen ohne Notwendigkeit zu einer Facette der eigenen Lebensweise bekehren möchte, die man sich selbst zur Lebensregel erklärt hat, hängt man einer Ersatzreligion an. Der ersatzreligiöse Mensch glaubt dann zwar nicht mehr an einen alles ordnenden Gott, aber vielleicht an Greenpeace. Er wird keine Kirche bauen, aber, je nach Überzeugung, Raucherbereiche oder Nichtraucherbereiche zu gleichsam sakralen Räumen erklären und jede Diskussion darüber als Verletzung religiöser Gefühle empfinden. Denn längst haben diese Überzeugungen den Boden des vernunftgesteuerten Denkens verlassen. An die Stelle des rationalen Diskussionsprozesses tritt die irrationale Überzeugung von der richtigen Sache, die Gläubigkeit. Wer eine andere Meinung vertritt, ist nicht im Besitz der vollen Erkenntnis, man begegnet ihm nicht mit Argumenten, sondern mit mildem Lächeln und versucht, ihn auf den Weg der Wahrheit zu bugsieren.
Bei Tierfreunden sind solche Ambitionen bisweilen zu beobachten: Weniger die Vergötzung des eigenen Hundes oder der eigenen Katze macht die Ersatzreligion, obwohl Hund und Katze durchaus zum Nebengott werden können, sondern ein tierschützerisches Denken ohne Wenn und Aber. Wer nicht begreift, dass zwischen der blutssportspaßigen Gatterjagd eines Alfons Mensdorff- Pouilly und der lebensnotwendigen Waljagd der Inuit ein Unterschied besteht, der ist auf dem besten Weg, seine allumfassende Tierliebe zur Ersatzreligion zu machen. Bald wird er dann zumindest im Freundeskreis missionieren, man möge auch für Greenpeace und Vier Pfoten spenden – wobei beide Organisationen wertvolle Arbeit leisten und auf Ersatzreligiöse durchaus verzichten können.
Ersatzreligionen sind nichts Neues. In der Geschichte gab es genug davon, man erinnere sich an die Kulte um Richard Wagner und Stefan George, und zweifellos waren auch der Nationalsozialismus und der Kommunismus Ersatzreligionen.
Wenn aber der österreichische Autor Hans Weigel in seinem brillanten satirischen Roman „Der grüne Stern“ eine Parallele zieht zwischen Vegetarianismus und Nationalsozialismus, so ist das keineswegs Zufall, und nicht nur, weil Hitler Vegetarier war. Obwohl der Umkehrschluss, nämlich dass Vegetarier Nationalsozialisten seien, eindeutig unzulässig ist, so sind heute Vegetarismus und Veganismus die in der westlichen Welt wohl am weitesten verbreiteten Ersatzreligionen.
Die Gefühle des Salatkopfs #
Wobei es gilt, gleich einmal die Begriffe zu klären: Vegetarier essen nichts, was durch Schlachtung gewonnen wird, wohl aber tierische Produkte wie Eier oder Milchprodukte (bei denen es aber einen Stolperstein gibt, über den gleich zu reden sein wird). Veganer verweigern sämtliche tierische Produkte, also auch Eier und Milchprodukte. Frutarier treiben den Vegetarismus auf die Spitze, sie wollen nicht nur das Tier weder schlachten noch ausnützen, sie fordern auch Pflanzenrechte. Gemüse ernten geht gar nicht, schließlich hat auch der Salatkopf Gefühle. Und so essen die Frutarier nur, was die Pflanze nicht beschädigt, also etwa Nüsse und Obst. Getreideprodukte lassen sie mit dem Argument zu, das Korn sei bei der Ernte bereits abgestorben.
Konsequente Vegetarier, nicht zu reden von Veganern und Frutariern, müssen, da sind wir jetzt beim Stolperstein in Bezug auf die Milchprodukte, auf die meisten Käsesorten verzichten, da diese mit Lab hergestellt werden. Sie haben nur die Möglichkeit, auf vegetarisch hergestellten Käse oder den koscheren Käse aus dem jüdischen Geschäft zurückzugreifen (jüdische Speisegesetze verbieten die Mischung von Milch und Schlachtprodukt), der in der Auswahl freilich begrenzt und in der Regel kostspielig ist.
Auch Wein und die aus ihm gewonnen Brände werden für Vegetarier und Veganer zum Problem. Die meisten Weine werden mit Hilfe von Gelatine, Eiweiß oder einem Protein aus der Fischblase geklärt. Allerdings liegt der Veganismus im Trend, daher gibt es mittlerweile vegane Weine, die höheren Ansprüchen genügen sollten. Preislich liegen sie freilich merklich über vergleichbaren nicht-veganen Weinen.
Frommes Flunkern #
Doch das alles nehmen Vegetarier und Veganer in Kauf – und Flunkereien bei ihrer Missionstätigkeit ebenso, wie Ulrich Neumeister in seinem Buch „Veggiewahn“ darlegt: So wird das gesündere Leben durch Vegetarismus primär von Studien behauptet, die von Vegetariern in Auftrag gegeben sind.
In der vegetarischen Missionstätigkeit werden nicht nur die Nachteile für die Gesundheit bei einer solchen Ernährungsweise verschwiegen, es wird obendrein mit unhaltbaren Zahlen gearbeitet. Was nicht passt, wird passend gemacht. Folgt man Neumeister, gibt es kein einziges Argument im Bereich von Wissenschaft und Medizin, das für eine vegetarische Ernährung spricht. Bleibt die Frage der Ethik, also die Problematik des Tötens von Tieren – die aber jeder mit sich selbst ausmachen muss. Der geradezu vergöttlichte Tofu, das Kultprodukt der Vegetarierund Veganerbewegung, ist indessen ein etwas problematischer Fleischersatz. Der Biologe und Sportwissenschafter Wolfgang Feil etwa sagt dem Sojaprodukt nach, es könne eine Schilddrüsenunterfunktion auslösen, ebenso Eisen- und Zinkmangel. Sojaprodukte weisen obendrein hohe Werte an Purinen auf, und die lassen die Harnsäurewerte im Blut ansteigen. Gicht und Nierensteine können die Folge sein.
Der Tofu im chinesischen oder japanischen Lokal, der zur landesüblichen Küche gehört, ist dabei kein Problem. Doch paradoxerweise ist der Fleischersatz Tofu genau wie Fleisch zu behandeln: Zuviel ist ungesund, 200 bis 300 Gramm pro Woche ist ein Richtwert, der von zahlreichen Ernährungsexperten angegeben wird.
Damit gilt bis auf Weiteres: Zuviel Religion kann das Denken schädigen – zuviel Ersatzreligion auch. Und die Gesundheit obendrein.
- Ulrich Neumeister: Veggiewahn, Freya Verlag, 2016 312 Seiten, € 19,90