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Ein Trauerspiel in vier Jahrzehnten#

Die sieben bisherigen ÖIAG-Chefs sind im politischen Minenfeld gescheitert – Bald ist der achte an der Reihe#


Von der Wiener Zeitung (Mittwoch, 9. Februar 2011) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Peter Muzik


Klemens Fürst Metternich
Viele ÖIAG-Bosse, viele auf verlorenem Posten.
Oben: Oskar Grünwald, Johannes Ditz und Hugo Michael Sekyra;
unten: Rudolf Streicher, Peter Michaelis und dessen designierter Nachfolger Markus Beyrer
© Wiener Zeitung / Foto: apa

  • Markus Beyrer hat den ÖIAG-Job, aber noch kein Konzept.
  • Die Parteien ließen den Staatsfirmen nie eine echte Chance.
  • Großer Abverkauf ist nunmehr beendet.

Markus Beyrer lässt sich auf ein riskantes Abenteuer ein: Am 1. Juli wechselt der 45-jährige Lobbyist, dessen Laufbahn in der Wirtschaftskammer startete und von der ÖVP ziemlich beschleunigt wurde, ins praktische Fach. Erstmals wird sich der Generalsekretär der Industriellenvereinigung bei der Staatsholding ÖIAG als Industrieboss versuchen können. Der zumindest in finanzieller Hinsicht erstrebenswerte Traumjob als neuer Alleinvorstand sei für ihn "die größte Herausforderung meiner bisherigen Karriere", sagt er – und liegt damit goldrichtig.

Der gebürtige St. Pöltener wird eine Funktion übernehmen, an der sich schon große Kaliber die Zähne ausgebissen haben: In den vier Jahrzehnten sind sieben Generaldirektoren mit traumwandlerischer Sicherheit an dieser Aufgabe so gut wie gescheitert. Die Palette an prominenten Führungskräften reicht von Franz Geist, der sich 1971 im Alter von 60 Jahren auf das Abenteuer eingelassen hatte, bis zum heute 64-jährigen Peter Michaelis, der seit 2002 im politischen Dauerbeschuss seine Sünden abbüßen muss – was ihm mit bis zu 700.000 Euro Jahresgage abgegolten wurde.

Der Aktionsradius der Bosse war stets ebenso begrenzt wie deren Durchsetzungsvermögen. Die Dimensionen von einst und jetzt sind dennoch nicht vergleichbar: Damals waren im Firmenimperium der Verstaatlichten mehr als 100.000 Mitarbeiter beschäftigt, die sich auf ein 1975 vom Kanzler angeordnetes Kündigungsverbot verlassen konnten. Betriebe wie ÖMV, Vöest, Alpine, Chemie Linz, Elin Union, VMW Ranshofen-Berndorf, Simmering-Graz-Pauker, Siemens Österreich und viele mehr setzten alles in allem rund 50 Milliarden Schilling um. Heute verwaltet die radikal abgespeckte Holding nur die verbliebenen Staatsbeteiligungen an drei börsennotierten Konzernen: OMV, Telekom und Post. Alle anderen einstigen Staatsbetriebe, etwa Voest alpine, Austria Tabak oder Austrian Airlines, wurden mittlerweile verkauft.

Die Politik trieb die Verstaatlichte in Krisen#

Am Dilemma der Akteure indes hat sich seit den Siebzigerjahren wenig geändert: Franz Geist, als nüchterner Fachmann ohne Parteibuch unbestritten, rannte bei der SPÖ-Alleinregierung gegen eine Wand. Bruno Kreisky dachte nicht im Traum daran, den ruhigen, aber zähen und schlauen Topmanager per Weisungsrecht zum großen Strategen der am Weltmarkt großteils nicht mehr konkurrenzfähigen Staatsindustrie zu machen.

Wie kompliziert Beyrers Mission ist, lassen Ansagen gescheiterter Vorgänger erahnen: Johannes Ditz, der in seiner abwechslungsreichen Vergangenheit drei Jahre die ÖIAG führen musste, plädiert in regelmäßigen Abständen für ihre ersatzlose Abschaffung. Der ebenfalls einschlägig vorbelastete Topmanager Claus Raidl würde sie am liebsten beerdigen: "Man sollte sie auflösen", gab er in Interviews zu Protokoll, "und würdevoll stilllegen." Die ÖIAG-Führung sei "maximal ein Halbtagsjob".

Die turbulente Geschichte der geschmähten Staatsholding spielte sich schon immer im Grenzbereich von Trance und Hektik ab. Ohne Kompetenzen kurzgehalten, den Reibereien der Parteien ausgeliefert, schlitterte die ÖIAG unweigerlich in eine schwere Krise, die zum Dauerzustand werden sollte. Das hausgemachte Unglück begann (auch wegen Einbrüchen auf den Weltmärkten) in der Ära von Geist-Nachfolger Oskar Grünwald. Unter der Regie des farb- und machtlosen, doch den Roten treu ergebenen Firmenverwalters stiegen die Verluste vieler Tochterfirmen so dramatisch, dass eine Kapitalspritze die nächste jagte.

Für existenzbedrohende Erdbeben sorgten 1985 Spekulationsgeschäfte der Voest-Tochter Intertrading. Finanzminister Ferdinand Lacina setzte den gesamten Vorstand vor die Tür.

Sekyras Reformkurs ging voll daneben#

In der Stunde Null sollte der nächste ÖIAG-Boss eine radikale Umstrukturierung angehen: Hugo Michael Sekyra, der demonstrierende Stahlarbeitern in Kapfenberg mit dem legendär gewordenen Satz "Wir sind pleite, verstehen Sie das bitte: Wir sind pleite" schockte, musste den unübersichtlichen Mischkonzern zunächst zerschlagen, um die Teile in neuen Branchenholdings zusammenzufassen. Die Regierung, die seit 1980 sukzessive 60 Milliarden Schilling zur Verlustabgeltung zuschießen musste, wollte die Sorgenkinder mit Erlösen aus Privatisierungen sanieren und über Börsengänge privatisieren.

Dafür wurde 1989 die ÖIAG-Tochter Austrian Industries AG gegründet, in die die wichtigsten Beteiligungen eingebracht wurden: Trotz eines konjunkturellen Zwischenhochs funktionierte auch diese Strategie nicht. Folglich wurde das Konzernverhältnis zwischen ÖIAG und ihren Ablegern ebenso wieder aufgelöst wie die Branchenholdings. Ende 1993 wurde ein neues ÖIAG-Gesetz beschlossen: Unter neuem Kommando – Sekyra wurde durch den Zementmanager Karl Hollweger ersetzt – sollte die Holding fortan als reine "Privatisierungsagentur" agieren. Der relativ unauffällige, aber beinharte neue Boss machte sich unverzüglich an den Ausverkauf des Familien-Silbers. Er ging so forsch und effizient vor, dass sein mediales Echo im Vergleich zu anderen ÖIAG-Chefs geradezu hervorragend ausfiel.

Unter dem nächsten Führungsduo – der rote Ex-Minister Rudolf Streicher wurde mit dem schwarzen Ex-Minister Johannes Ditz zusammengespannt – ging, abgesehen vom Verkauf der Austria Tabak an Gallaher, wenig weiter. Die ÖIAG stürzte, nicht zuletzt aufgrund permanenten Posten-Pokers und etlicher parteipolitisch motivierter Mauscheleien, imagemäßig in den Keller. Schlussendlich wurden beide Chefs vom glücklos agierenden Aufsichtsratspräsident Alfred Heinzel geschasst. Die vorzeitige Vertragsauflösung bescherte ihnen jeweils mehr als eine Million Euro.

Der von der schwarz-blauen Bundesregierung eingesetzte Peter Michaelis hat auftragsgemäß weiter privatisiert. Die Erlöse betrugen 2004 etwas mehr und 2006 etwas weniger als eine Milliarde Euro. Das abgeschlankte Unternehmen, das nun fast eben so viele Aufsichtsräte hat wie Mitarbeiter, wurde schuldenfrei. Der linken Reichshälfte war er ein Dorn im Auge, weil er als unterbeschäftigt aber überbezahlt galt und alle Probleme, etwa bei AUA und Post, ausbaden musste. Michaelis lieferte in seiner Amtszeit mehr als zwei Milliarden Euro Dividende an die Republik ab und erfüllte mit dem Abflug der maroden Austrian Airlines zur Lufthansa den Privatisierungsauftrag.

Jetzt wird er gehen, doch die ÖIAG-Verpolitisierung bleibt. Mit Markus Beyrer, der einst Wolfgang Schüssel beraten hat, machte der Wunschkandidat von Vizekanzler Josef Pröll das Rennen. Er war für die Wirtschaftskammer, die Volkspartei und zuletzt die Industriellenvereinigung tätig, aber noch keinen Tag bei einem Industriebetrieb. Der gelernte Rechts- und Handelswissenschafter wird bis 2014 einem Unternehmen vorstehen, dessen Zukunft mangels klarer Strategie ungewiss ist. Die ÖIAG könnte aufgelöst werden (was wohl die ÖVP nicht zulassen wird), oder aber sie wird aufgewertet, falls sie für weitere Staatsunternehmen wie ÖBB, Asfinag oder Verbund zuständig sein sollte (was die SPÖ verhindern wird). Beyrer will das Kunststück versuchen, ein Konzept auszuarbeiten, das beide Parteien absegnen.

Wissen#

Die bisherigen ÖIAG-Chefs – Chronologie des Scheiterns

1967: Die ÖVP-Alleinregierung gründet die Österreichische Industrieverwaltungs-GmbH (ÖIG) zur treuhändischen Ausübung der Anteilsrechte der Republik an verstaatlichen Unternehmen.

1971: Franz Geist, zuvor bei F. Krupp in Essen und bei der Rheinstahl AG tätig, wird erster Generaldirektor der in Österreichische Industrieverwaltungs-AG (ÖIAG) umbenannten Holding. Er setzt die branchenweise Zusammenführung der autonom agierenden Staatsunternehmen (z.B. Fusion Voest und Alpine) durch, kämpft aber vergeblich um ein Weisungsrecht.

1978: Der einstige AK-Mitarbeiter Oscar Grünwald wird Vorstandsvorsitzender der Staatsholding und führt diese in die große Krise 1985/86, ausgelöst vom Skandal um die Voest-Tochter Intertrading. In den Achtzigerjahren muss der Konzern mit Steuergeldern gerettet werden – der Staat schießt 60 Milliarden Schilling zu, um die Verluste abzudecken.

1982: Claus J. Raidl wird als ÖIAG-Vorstand bestellt und bleibt vier Jahre, um nahtlos in den Voest-Vorstand zu wechseln.

1986: Hugo Michael Sekyra wird neuer Boss – und die ÖIAG in Österreichische Industrieholding AG umgetauft. Er muss auf Teufel komm raus sanieren. Der Versuch, aus der ÖIAG einen börsenfähigen Mischkonzern zu machen, scheitert.

1994: Karl Hollweger, General der Perlmooser Zementwerke, tritt nach dem zweiten Verstaatlichtengesetz mit Erich Becker an. Die Beteiligungen sollen abgestoßen werden. Die Privatisierungswelle startet mit dem OMV-Börsengang.

1999: Rudolf Streicher, früher Steyr-General und Minister, wird nach dem Abgang Hollwegers ÖIAG-Boss, Ex-Wirtschaftsminister Johannes Ditz statt Becker, der die VA Tech übernimmt, Finanzvorstand.

2001: Streicher muss "wegen unterschiedlicher strategischer Vorstellungen" im Jänner gehen, Ditz wird Nummer eins, verkauft Austria Tabak nach Großbritannien und tritt mit Jahresende ab: Aufsichtsratsboss Alfred Heinzel montiert ihn per einvernehmlicher Lösung ab.

2002: Peter Michaelis, vom Mannesmann-Konzern – kurz zuvor als Ditz-Kollege geholt – wird vom Kabinett Schüssel als Vorstandssprecher inthronisiert; der bislang bei der Unternehmensgruppe Egger beschäftigte Rainer Wieltsch zweiter Mann.

2006: Wieltsch geht (gleichzeitig mit ÖIAG-Präsident Alfred Heinzel), Michaelis übernimmt allein. Die Lage bleibt kritisch: Finanzminister Grasser will die ÖIAG auflösen. Zores bei der Post, AUA und politischer Dauerdruck bescheren Michaelis viel Stress.

2011: Markus Beyrer löst Michaelis als Alleinvorstand ab. Eine neue Strategie gibt es nicht.

Wiener Zeitung, 9. Februar 2011


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