Demokratische Geldstücke#
Am 1. Juni 1924, also vor neunzig Jahren, wurden in Österreich die ersten Schillingmünzen ausgegeben. Die damals neue Währung ersetzte die alte Krone und machte der enormen Inflation ein Ende.#
Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Wiener Zeitung (Sa./So., 31. Mai/1. Juni 2014)
Von
Herbert Hutar
Im Jahr 1924 setzte Österreich die entscheidenden Schritte zur neuen Währung, dem Schilling. Zum unverwechselbaren Merkmal österreichischer Identität und erfolgreicher Wirtschaftsentwicklung sollte der Schilling erst nach dem Zweiten Weltkrieg werden, vor 90 Jahren war davon noch keine Rede. Trotzdem war das neue Geld ein Erfolg. Denn: "Mit der Einführung der Schillingwährung ging das Kapitel Inflation auch formal zu Ende", so der Wirtschaftshistoriker Roman Sandgruber.
Die Bezeichnung "Schilling" war eher eine Verlegenheitslösung. War es eine Anlehnung an die damals dominierende englische Währung mit Pfund, Schilling und Penny, und sollte damit Stabilität signalisiert werden? Offiziell wurde nur verkündet, jeder andere Name hätte an eine Münze der österreichischen Vergangenheit erinnert, und genau das sollte streng vermieden werden.
Diese Vergangenheit war düster. Als der Kanonendonner des Ersten Weltkrieges verklungen war, stellte der französische Politiker Georges Clemenceau fest: "L’Autriche, c’est ce qui reste" - Österreich, das ist das, was übrigbleibt. Die junge Republik Deutsch-Österreich startete 1918 mit Arbeitslosigkeit und Kriegsschulden. Sie war abgeschnitten von agrarischen Versorgungsgebieten wie von Kohleeinfuhren und Exportmärkten. Die Bevölkerung hungerte, Politiker und Eliten hatten wenig Hoffnung. Das von den Siegern verfügte Anschlussverbot an Deutschland wurde als existenzielle Bedrohung empfunden, nachdem es mit dem großen Wirtschaftsraum der Monarchie vorbei war.
Binnen weniger Jahre hatte die von der Monarchie übernommene Währung, die Krone, katastrophal abgewirtschaftet. Es gelang nicht, Währung und Kaufkraft zu stabilisieren, sprich, die Inflation einzudämmen. Der Griff zur Banknotenpresse erleichterte die Finanzierung der Budgetdefizite ebenso wie den Abbau der Kriegsschulden. Aber Sparguthaben und Geldvermögen wurden von der Inflation entwertet, das bedeutete eine Verarmung des bürgerlichen Mittelstandes.
Das Inflationskarussell wurde beschleunigt durch eine Flucht aus der Krone und durch die Spekulation gegen sie, sowie durch die tief sitzende Inflationserwartung. Um bei dem rasanten Kursverfall die nötigen Zahlungen aufrecht zu erhalten, musste die Banknotenpresse Nachtschichten fahren. Die Geldmenge explodierte. Im Herbst 1921 setzte die letzte Phase der Hyperinflation ein, die Preise stiegen pro Monat um 50 Prozent, im Jahr darauf verdoppelten sie sich sogar monatlich. Der Laib Brot kostete im Dezember 1921 noch 160 Kronen, neun Monate später bereits 5670 Kronen.
Der Wirtschaftsforscher Felix Butschek urteilt: "War eine derartige Inflation in Gang gekommen und permanent durch weitere Geldschöpfung alimentiert worden, wurde ein Mechanismus wirksam, der sich über Geldmenge, Preise, Löhne, Wechselkurse, Kapitalflucht, vor allem aber über die Inflationserwartung ständig wechselseitig in Gang hielt, ja verstärkte."
In Österreich sah man zwei Wege aus der Krise: den Anschluss an Deutschland, der von den Siegermächten verboten war, oder einen umfangreichen internationalen Hilfskredit. Ein Sanierungskredit durch internationale Banken scheiterte zunächst an dem im Vertrag von St. Germain diktierten Pfandrecht der Alliierten auf alle Staatseinnahmen.
Die Siegermächte hatten das Problem der Sanierung Österreichs an den Völkerbund abgetreten. 1922 gelang es Bundeskanzler Ignaz Seipel, beim Völkerbund eine Anleihe lockerzumachen. Er drohte, ein Zusammenbruch Österreichs werde ganz Mitteleuropa politisch destabilisieren, ein neuer Krieg könnte die Folge sein.
Sanierungsprogramm#
Diese sogenannte Völkerbundanleihe über 650 Millionen Goldkronen und mit 20 Jahren Laufzeit wurde von Großbritannien, Frankreich, Italien und der Tschechoslowakei garantiert. Österreich hatte einen Zinssatz von zehn Prozent zu akzeptieren und musste die Zollerlöse und das Tabakmonopol verpfänden. Die Auszahlung war an ein strenges Sanierungsprogramm geknüpft, das vom Völkerbund kontrolliert wurde. Diese Einschränkungen der Souveränität waren in der "Genfer Protokollen" festgeschrieben. Unter anderem war die Defizitfinanzierung durch die Notenbank sofort zu beenden. Bereits die Ankündigung dieser Anleihe stoppte den Verfall der Währung.
Wer heute liest, dass der Niederländer Alfred Zimmermann als Generalkommissär des Völkerbundes in das Wiener Finanzministerium einzog, um über die Verwendung der Anleihe und die Budgetdisziplin der Österreicher nach streng wirtschaftsliberalen Grundsätzen zu wachen, wird wohl an das heutige Griechenland erinnert. Damals wurde in Österreich ebenso wie heute in Griechenland von der Opposition der Verlust der Souveränität heftig beklagt, obwohl gangbare Alternativen nicht angeboten wurden und werden.
Bald aber enden die Übereinstimmungen: Die griechische Schuldenkrise geht auf wirtschaftspolitische Fehler der eigenen Regierungen zurück. Die österreichische Stabilitätskrise der frühen Zwanzigerjahre jedoch war ein Erbe des Krieges der alten Monarchie, dessen Folgen die junge Republik zu tragen hatte. Die Ziele der schmerzhaften Stabilisierungsschritte sind ebenfalls unterschiedlich: In Griechenland ist es das Beibehalten der alten Eurowährung, in Österreich war es eine neue Währung.
Zuvor aber musste der Staatshaushalt saniert werden. Um die Einnahmen zu steigern, wurde 1923 eine Warenumsatzsteuer eingeführt. Und auf der Ausgabenseite standen der Abbau von 100.000 Beamten sowie eine Reduktion des Bahndefizits auf dem Programm. Eine "geradezu mechanische Brutalität" konstatiert dabei der Wirtschaftshistoriker Karl Bachinger, die aber - zum Missfallen von Generalkommissär Zimmermann - "nur" 84.000 Entlassungen oder Pensionierungen brachte. Und weil die Beamtenpensionen schließlich ebenso wie die Gehälter aus der Staatskasse bezahlt werden mussten, blieb auch die Budgetentlastung hinter den Erwartungen zurück. Auch das Bahndefizit sank nur sehr langsam. Trotzdem gelang 1923 ein Defizitabbau von 185 auf 110 Millionen Goldkronen. Und die Stabilisierungskrise nach der Währungssicherung und der Budgetsanierung fiel 1923 mit einem Schrumpfen der Wirtschaftsleistung um 1,1 Prozent viel milder aus als erwartet, meint Roman Sandgruber, vor allem wegen öffentlicher Investitionen und einer einsetzenden Börsenhausse. Neue Spekulationen
Nachdem es mit der Devisenspekulation rund um die Krone vorbei war, suchten die Spekulanten nach neuen Objekten der Begierde. Diese fanden sie in Aktien, und flugs entstand eine neue Spekulationsblase. Es war die Zeit der Neureichen. Die schillerndste Figur war sicher der Spekulant Camillo Castiglioni, der im Krieg in Flugzeugwerke investierte und später mit Beteiligungen an BMW, Puch oder Alpine Montan ein riesiges Vermögen erwarb, sich als Theatermäzen in Szene setzte, für Max Reinhardt den Umbau des Theaters in der Josefstadt und die Salzburger Festspiele finanzierte, 1924 aber mit seiner Depositenbank eine veritable Pleite hinlegte.
Die Spekulation hatte jedoch einen unbeabsichtigten positiven Nebeneffekt: Sie spülte hunderte Millionen an Devisen nach Österreich, Schätzungen reichen bis zu einer Milliarde Goldkronen. Dies hielt die Währung nach außen stabil, überdeckte jedoch eine Bankenkrise, in der die junge "Oesterreichische Nationalbank" ihre erste Bewährungskrise ablegte. Die Zeit war also reif für die neue Währung, die "Genfer Protokolle" und die Völkerbundanleihe ebneten den Weg dahin. (Die letzten Reste der Anleihe wurden übrigens erst 1980 getilgt.)
Die Einführung des Schillings erfolgte schrittweise. Ab Juni 1924 wurden die ersten Münzen ausgegeben, um den Namen der kleinen Münze gab es noch Diskussionen: "Stüber" wurde vorgeschlagen, nach einer alten holländischen Münze. Es hätte keines Karl Kraus bedurft, um den "Stüber" mit dem schmerzhaften "Nasenstüber" in Verbindung zu bringen, aber Kraus hat daraus eine kunstvoll verschlungene Wortschleife gedreht, in der er vorschlug, die neue Währung könnte ja "Neanderthaler" heißen. Schließlich wurde die kleine Münze "Groschen" genannt, nach einer alten deutschen Münze.
Am 20. Dezember 1924 wurde das Schillingrechnungsgesetz verabschiedet: Ein Schilling war gleich 100 Groschen, der Umrechnungskurs für einen Schilling betrug 10.000 Kronen, und mit 0,21172 Gramm Feingold pro Schilling wurde die Goldparität hergestellt. Die Umstellung bis zum 1. Juli 1926 verlief reibungslos.
Die folgenden Jahre sollten bis zur Weltwirtschaftskrise eine Erholung mit jährlichen Wachstumsraten von knapp fünf Prozent bringen. Von "goldenen Zwanzigerjahren" konnte in Österreich allerdings nicht die Rede sein: Zu tiefe Wunden hatte der Krieg geschlagen, erst 1927 erreichte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wieder das Niveau von 1913. Die Arbeitslosigkeit stieg auf 11 bis 13 Prozent - Vorboten der Massenarbeitslosigkeit und der politischen Radikalisierung.
Der "Anschluss" an Nazi-Deutschland 1938 brachte den Schilling zum Verschwinden. Das Schillinggesetz vom 30. November 1945 bedeutete die Wiedergeburt der österreichischen Währung. Der Schilling wurde in der Folge zum Symbol für den Wiederaufbau und später für die Hochkonjunktur, die Österreich im Lauf der Jahrzehnte in die Spitzengruppe der europäischen Länder bringen sollte.
Jetzt würde er also neunzig, der Schilling. Ist er mit der Einführung des Euro gestorben? Ein Rest von knapp neun Milliarden Schilling ist seit der Euroeinführung 2002 zumindest noch nicht bei der Nationalbank eingewechselt worden. Über den Verbleib der Münzen und Banknoten darf spekuliert werden. "Ein großer Teil des Geldes ist im Ausland, zum Beispiel in Geldmuseen", meint Nationalbank-Direktorin Claudia Macheiner. Wahrscheinlich sind auch Schillinge vernichtet oder zerstört worden. Hartnäckig halten sich Gerüchte über vergrabene und vergessene Schätze. Der Schilling fristet also noch ein museales und für einige auch ein nostalgisches Leben.
Herbert Hutar war früher Leiter der Wirtschaftssendung "Saldo" im Radio Ö1 und arbeitet nun als Wirtschaftsjournalist in Wien.