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Schonungsloser Chronist seiner Zeit #

Sie mussten ins Exil fliehen, hinterließen beeindruckende und wichtige literarische Zeitdokumente, doch ihre Werke sind heute kaum bekannt. So erging es auch Hans Flesch-Brunningen. #


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Wochenzeitschrift DIE FURCHE (30. Jänner 2020)

Von

Evelyne Polt-Heinzl

Hans Flesch-Brunningen Vor 125 Jahren, am 5. Februar 1895, in Brünn in eine Familie mit jüdischen Wurzeln geboren, emigrierte der Schriftsteller 1934 nach England.
Hans Flesch-Brunningen Vor 125 Jahren, am 5. Februar 1895, in Brünn in eine Familie mit jüdischen Wurzeln geboren, emigrierte der Schriftsteller 1934 nach England.
Foto: www.onb.ac.at

Man kann diesen Autor „wohl den b eka n nt e s t en unter den unbekannten oder gar den unbekanntesten unter den bekannten deutschen, vielmehr österreichischen Schriftstellern nennen [...] Er hat im ganzen fünf Novellenbände, 21 Romane, fünf Theaterstücke und eine Sammelbiographie 16 berühmter Exilierter geschrieben; dazu noch ein Dutzend Bücher aus dem Englischen übersetzt“. So formulierte Hans Flesch-Brunningen bereits 1968 in einem ironischen Nachruf zu Lebzeiten, erschienen in der Tageszeitung Die Presse. Zu den von ihm übersetzten Autoren gehört auch W. Somerset Maugham, und dessen Machiavelli-Roman „Damals und heute“ ist aktuell der einzige Titel, mit dem „Hans Flesch“ im Buchhandel aufscheint.

Ignoranz des Betriebs #

Hans Flesch-Brunningen, in dessen Leben die Zeitgeschichte radikale Brüche verursachte, hat sich in mehreren Feldern der Literaturgeschichte soweit eingeschrieben, dass ihm die Nennung in Aufzählungen und Fußnoten gewiss ist, doch weder Verlage noch Wissenschaft haben eine systematische Werkpflege ins Auge gefasst. Das verwundert insofern, als er mit seinen expressionistischen Anfängen wie mit seinen Exilromanen in zumindest zwei Bereichen aktiv war, die in den letzten Jahrzehnten verstärkt in den Blickpunkt gerückt sind.

Am verwunderlichsten ist diese Ignoranz der literarischen Öffentlichkeit vor allem was seinen großen Roman „Perlen und schwarze Tränen“ aus dem Jahr 1948 betrifft. Auch die heimische Exilliteratur-Forschung hat bislang nichts unternommen, dieses Buch präsent zu halten. Dabei ist der Roman ohne Zweifel neben Friederike Manners im selben Jahr erschienenem Romanbericht „Die dunklen Jahre“, der jüngst in der Edition Atelier wieder aufgelegt wurde, und neben Martina Wieds 1951 erschienenem Buch „Das Krähennest“, dessen Neuausgabe gerade in Diskussion ist, einer der drei großen und auch formal herausragenden Romane der österreichischen Exilliteratur.

Johannes Evangelista Luitpold Flesch Edler von Brunningen wurde vor ziemlich genau 125 Jahren, am 5. Februar 1895, in Brünn als Sohn einer wohlhabenden Familie mit jüdischen Wurzeln geboren. Kindheit und Jugend verbrachte er in Abbazia (Opatija) und Wien. Als Schriftsteller begann er im Umfeld des Expressionismus. Bereits im Juli 1914 brachte Franz Pfemferts Zeitschrift Die Aktion ein Heft mit Texten des Neunzehnjährigen, samt einer Porträtzeichnung Egon Schieles am Titelblatt. 1917 erschien sein Novellenband „Das zerstörte Idyll“ in der renommierten Reihe „Der jüngste Tag“ des Kurt Wolff Verlages, 1919 folgte der utopische Roman „Baltasar Tipho“, eine gnadenlose Satire auf den moralischen Verfall der Kriegsschieber- und Inflationsjahre. Ab 1925 lebte er in Italien, Frankreich und vor allem in Berlin. Von dort emigrierte er bereits 1934, nach der Niederschlagung des Februaraufstandes, nach England. Damit war er Teil der ersten Flüchtlingswelle, und er kam mit einigen Referenzen im Gepäck: Sein 1930 erschienener Roman über die Französische Revolution „Die Amazone“ lag bereits ein Jahr später in englischer Übersetzung vor. Nach diversen Gelegenheitsjobs arbeitete er von 1939 bis 1958 in der österreichischen Abteilung der BBC als Sprecher, Übersetzer und Redakteur – unterbrochen freilich durch die Internierung als ,Enemy Alien‘ von Juni bis Oktober 1940.

„Perlen und schwarze Tränen“ entstand noch im englischen Exil und erschien 1948 unter dem Pseudonym Vincent Brun. Der Roman ist eine sprachlich ambitionierte Paraphrase auf den „Ulysses“ von James Joyce, den er in Paris kennengelernt hatte. Das Buch folgt 24 Stunden hindurch den Wegen, Gedanken, Erinnerungen und traumhaften Visionen des Exilautors John Truck. Viele Realien wie die Tätigkeit im Rundfunk und in Emigrantenkreisen sind autobiografisch grundiert. Trucks Wege führen durch das devastierte London, mit den in U-Bahn-Schächten campierenden Ausgebombten und dem Treiben der Prostituierten in den Ruinen. Aus dem dichten Nebel steigen gespenstische Bilder und Begegnungen mit großer Leichtigkeit empor. So tauchen in der Nähe von Marble Arch die Größen der englischen Literatur auf, die London einst besungen haben und dem Autor die Möglichkeit geben, sich in eine Traditionslinie zu stellen. Das Kapitel heißt „Literaturbeilage“, so wie alle Abschnitte nach Ressorts des Zeitungswesens benannt sind. Die Beschreibungen der Stadt und der Stimmung der Menschen sind ebenso beeindruckend wie die immer wieder ins Surreale kippenden Szenen während seines Nachtdienstes in den Bürolandschaften der monströsen BBC-„Wortfabrik“, zugleich ein Porträt des neuen, 1932 fertiggestellten Broadcasting House am Portland Place.

Bemerkenswert modern #

Zu Beginn wartet Truck fast dreißig Seiten lang auf seine Freundin, eine selbstbestimmte Exil-Kollegin und eine Art Porträt seiner späteren Ehefrau Hilde Spiel, die damals noch mit Peter de Mendelssohn verheiratet war. Trucks Gedankenketten und Kopfbilder kreisen um das Phänomen des Wartens als Ur-Situation der Emigration, um die Bombardements, die existenzielle Fremdheit des Exilanten, dem die Realität immer wieder löchrig wird, um den Kulturbruch in Europa, und um Erotik, jenen „Heiligen Gral und das Mysterium der Zehn Sekunden“. „Perlen und schwarze Tränen“ ist nicht nur ein einmaliges Zeitdokument aus dem London im deutschen Bombenkrieg, sondern ein bemerkenswert moderner Roman mit einer komplexen Mischung unterschiedlichster Stimmen und Erzähltechniken.

Wurde die Erstausgabe des Romans 1948 in einem deutschen Verlag in Zeiten der Papierknappheit in Österreich kaum wahrgenommen, fand die bislang einzige Neuauflage von 1980 deutlich mehr Resonanz – wohl auch, weil Flesch-Brunningens 1979 erschienener Roman „Die Frumm“ einiges Aufsehen erregt hatte. Jenseits der betulichen Üppigkeit eines Heimito von Doderer entwirft er hier mit scharfen Bildern und brillanten Formulierungen ein Sittenbild aus Wien, während und nach der NS-Zeit. Entlang der titelgebenden Angela Frumm, die aus ärmlichen Verhältnissen stammend in den Strudel der politischen Ereignisse hineingerissen wird und als Klofrau endet, arrangiert der Autor eine Fülle von Lebensgeschichten, die ein Pandämonium des österreichischen Nationalcharakters, seiner Abgründe und seiner Opfer ergeben.

Die Erfahrung des Exils und die Frage nach der politisch-moralischen Verantwortung des Künstlers sind übrigens auch Thema jener beiden Romane, die Flesch-Brunningen im Exil veröffentlichte und die bis heute nicht auf Deutsch vorliegen: „The Blonde Spider“ erschien 1939 und „Untimely Ulysses“ 1940.

Anfang der 1960er Jahre kehrte Flesch- Brunningen nach Österreich zurück. In den folgenden Jahren schrieb er Hörspiele, Rundfunkessays und Literaturkritiken. 1969 erschien der autobiografische Roman „Die Teile und das Ganze“, der die mentale Vorgeschichte von Krieg und Faschismus bearbeitet. Angetrieben von seiner unsichtbar bleibenden Enkelin berichtet der Erzähler von seinem Leben – und er ist eindeutig keine sympathische Figur. Wie in diesem schonungslosen Selbstporträt männlicher „Vergrößerungswahn“, selbstgerechte Posenhaftigkeit und martialische wie homoerotische Frontromantik aus dem Ersten Weltkrieg zu einem Zeit- und Charakterbild verwoben werden, ergibt eine Analyse der Zeitstimmung und auch des Geschlechterverhältnisses, wie man sie so aus Männerhand wohl selten zu lesen bekommt.

Stark gekürzte Autobiografie #

Rücksichtslos gegen sich selbst ist der Autor auch in den posthum erschienenen Lebenserinnerungen „Die verführte Zeit“. Dass Flesch-Brunningen etwa AlexanderLernet- Holenia nicht sympathisch finden konnte, versteht sich aus der allzu großen charakterlichen und selbstinszenatorischen Verwandtschaft der beiden fast gleichaltrigen Männer und auch aus ihrer Nähe zu Hilde Spiel fast von selbst. Wie Flesch-Brunningen aber seine seitenlange Niedermetzelung abschließend begründet, verdient Respekt: „Einfach: ich hatte Angst vor ihm. Ich hatte eine ganz allgemeine, der Todes- und Lebensangst verwandte Angst, Angst vor seiner Unmittelbarkeit, seiner Sorglosigkeit, seiner Grausamkeit. Ich hatte direkte und besondere erotische Angst.“

Interessant ist die Autobiografie in ihrem letzten Teil auch mit dem spezifischen Blick eines Beobachters, der von außen kommt, aber durch seine Ehe mit Hilde Spiel doch mitten im Getriebe des Literaturbetriebs der 1960er und 1970er Jahre steht. Wer die Schilderung seines Besuchs im Büro seines Rundfunk-Kollegen Rudolf Henz oder das Gruppenporträt einer Sitzung des Österreichischen PEN-Clubs einmal gelesen hat, wird sie – auch nach Abzug aller möglichen Überzeichnungen ins Groteske – so schnell nicht wieder vergessen. Bis heute offen ist die Frage, die Karl-Markus Gauß schon bei Erscheinen des Buches gestellt hat: Weshalb durften von den 900 Manuskript-Seiten nur knapp 300 bleiben? Was ist hier warum der Schere des Herausgebers Manfred Mixner zum Opfer gefallen?

An Zensur zur Schonung von Zeitgenossen vor unliebsamen Enthüllungen und Attacken hätte Flesch-Brunningen selbst jedenfalls nie gedacht. Als er am 1. August 1981 im Alter von 86 Jahren im Krankenhaus von Bad Ischl starb, vergaß jedenfalls kaum ein Nachruf, auf seine „Streitbarkeit“ hinzuweisen.

DIE FURCHE (30. Jänner 2020)


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