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ist kein Spleen, es ist – also, wie soll ich es nennen? Es ist mehr als eine
Beobachtung, es ist ein Gefühl, eine Beimischung aller Gefühle, ein
Existenzgefühl – Du siehst, ich quäle mich zurück in den Gebrauch einer
Kunstsprache, die mir in zwanzig Jahren fremd genug geworden ist. Aber
muß ich wirklich kompliziert werden unter den Komplizierten? Ich möchte in
mir selber blühn, und dies Europa könnte mich mir selber wegstehlen. So will
ich es Dir lieber weitschweifig oder ungeschickt sagen und ihren Kunstworten
ausweichen. Du kennst mich genug, um zu wissen, daß ich bei meinem Leben
nicht viel Zeit hatte, abstrakte oder theoretische Lebensweisheit
anzusammeln. Eher eine gewisse praktische Erfahrung, aus den Gesichtern
von Menschen oder aus dem, was sie nicht sagen, etwas abzunehmen, oder
eine kleine Kette von unauffälligen Details hinreichend zu dechiffrieren, um
allenfalls den Gang der Dinge bei einem Geschäftsabschluß oder einer Krise
im Verhalten anderer zu mir oder untereinander irgendwie vorauszusehen.
Von Theoretischem aber, wie gesagt, habe ich fast nichts in mir, so gut wie
nichts. Immerhin ein oder zwei oder drei Sätze, Aphorismen, oder wie man es
nennen wollte; es gibt Verbindungen von Wörtern, die man nicht vergißt; wer
vergißt das Vaterunser? The whole man must move at once: Da hast Du eine
von meinen großen Wahrheiten. Ich scherze nicht, das ist eine große
Wahrheit, ein tiefsinniges Aphorisma, eine ganze Lebensweisheit, wenn es
auch nur wenige Worte sind, die nicht viel gleichsehen. Und es war ein großer
Mensch, der sie mir überliefert hat. Er war mein Bettnachbar im Spital von
Montevideo, und es war einer von denen, die weit gekommen wären. Viel von
dem Stoff war in ihm, woraus die englische Rasse ihre Warren Hastings und
Cecil Rhodes macht. Aber er starb mit fünfundzwanzig, nicht damals in dem
Bett neben mir, sondern ein Jahr darauf, an einer Rezidive. Er hatte den
Spruch von seinem Vater, der ein Landgeistlicher in Schottland war und hart
und bös gewesen sein muß, aber ein tiefer Kopf. Es ist ein Spruch, um ihn auf
seinen Fingernagel zu schreiben, und man vergißt ihn nicht mehr, wenn man
ihn einmal gefaßt hat. Ich führe ihn nicht oft im Mund, aber er ist irgendwo in
mir immer präsent. Es ist mit solchen Wahrheiten – ich glaube nicht, daß es
viele von solcher Kraft und Einfachheit gibt – wie mit dem Organ, das wir im
inneren Ohr haben, den Knöchelchen oder kleinen beweglichen Kugeln: sie
sagen uns, ob wir im Gleichgewicht sind oder nicht. The whole man must
move at once – wenn ich unter Amerikanern und dann später unter den
südlichen Leuten in der Banda oriental, unter den Spaniern und Gauchos, und
zuletzt unter Chinesen und Malaien, wenn mir da ein guter Zug vor die Augen
trat, was ich einen guten Zug nenne, ein Etwas in der Haltung, das mir
Respekt abnötigt und mehr als Respekt, ich weiß nicht, wie ich dies sagen
soll, es mag der große Zug sein, den sie manchmal in ihren Geschäften haben,
in den U.S. meine ich, dieses fast wahnwitzig wilde und zugleich fast kühl
besonnene »Hineingehen« für eine Sache, oder es mag ein gewisses
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Die Briefe des Zurückgekehrten
- Titel
- Die Briefe des Zurückgekehrten
- Autor
- Hugo von Hofmannsthal
- Ort
- Berlin
- Datum
- 1907
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 27
- Schlagwörter
- Briefnovelle
- Kategorien
- Weiteres Belletristik