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Die Briefe des Zurückgekehrten
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wäre – oder doch wenigstens einem, der jeder Zoll ein großartiger alter Mann wäre. Aber es ist alles so verwischt, durcheinander hingemischt: in den Jungen wieder steckt etwas von Alten, in den Gesunden etwas von Kranken, in den Vornehmen etwas von recht Unvornehmen. Und ihre Gebärden sind genau wie das. Alles mischt sich da durcheinander. Wo bloß das Höfliche hingehört, mischen sie Gottweiß was für eine Art von biederer Zutraulichkeit darunter, um dann wieder aus dem angewärmten Ton in eine solche Trockenheit, solche Trivialität zu fallen, daß es weh tut; wollen sie aber große airs annehmen, so ist es eine falsche Feierlichkeit, eine angstvolle Gespreiztheit, die den Fremden kalt und verlegen macht. Ich habe mein Leben auf diese Dinge nicht viel geachtet – bin ich wirklich unter halbblütigen Pferdehirten und unter nackten Insulanern so verwöhnt worden, daß mir in Salons dahier und Bankettsälen und Konferenzzimmern manchmal vor Unbehagen übel wird? Aber ich würde von den Dingen nicht reden, würde mir sagen, daß ich überempfindlich bin, wäre nicht alles so einheitlich, so unerbittlich einheitlich. Jedes Land hat seinen bestimmten Geruch und jede Landschaft und jede Stadt und jeder Teil einer Stadt; Andalusien so gut wie Whitechapel und Hamburg so gut wie Tahiti. Aber hier verfolgt mich etwas wie ein geistiger Geruch, etwas namenlos Bestimmtes und doch kaum Sagbares: ein Gegenwartsgefühl, ein europäisch-deutsches Gegenwartsgefühl – warum sag ich »verfolgt mich«? – warum nicht »erfüllt mich«? Aber das erste Wort sagt die Wahrheit. Wie sie guten Tag sagen und wie sie dich zur Tür begleiten, wie sie eine Tischrede halten und wie sie von Geschäften reden, wie sie in ihren Zeitungen schreiben und wie sie ihre neuen Stadtteile bauen – das ist alles aus einem Guß. Ich meine, das paßt eins zum andern: denn in sich ist nichts, was sie tun und treiben, aus einem Guß: ihre linke Hand weiß wahrhaftig nicht, was ihre rechte tut, ihre Kopfgedanken passen nicht zu ihren Gemütsgedanken, ihre Amtsgedanken nicht zu ihren Wissenschaftsgedanken, ihre Fassaden nicht zu ihren Hintertreppen, ihre Geschäfte nicht zu ihrem Temperament, ihre Öffentlichkeit nicht zu ihrem Privatleben. Darum sag ich Dir ja, daß ich sie nirgends finden kann, nicht in ihren Gesichtern, nicht in ihren Gebärden, nicht in den Reden ihres Mundes: weil ihr Ganzes auch nirgends darin ist, weil sie in Wahrheit nirgends sind, weil sie überall und nirgends sind. Ein menschliches Gesicht, das ist eine Hieroglyphe, ein heiliges, bestimmtes Zeichen. Darin steht eine Gegenwart der Seele, und so auch beim Tier – sieh einem Büffel ins Gesicht, wenn er kaut oder wenn er zornig das blutunterlaufene Auge rollt, und sieh einem Adler ins Gesicht und einem guten Hund. In einem menschlichen Gesicht steht ein Wollen und ein Müssen, und das ist mehr als eines einzelnen Wollen und Müssen. Solche Gesichter hatten die Deutschen in meinen Träumen, deren jeder kürzer war als ein Atemzug; zwar sah ich den Unbekannten, die an mich wehten, nicht immer ins Gesicht, manchmal hörte ich ihre Rede, oder 11
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Die Briefe des Zurückgekehrten
Titel
Die Briefe des Zurückgekehrten
Autor
Hugo von Hofmannsthal
Ort
Berlin
Datum
1907
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
27
Schlagwörter
Briefnovelle
Kategorien
Weiteres Belletristik

Inhaltsverzeichnis

  1. Der Erste 5
  2. Der Zweite 10
  3. Der Dritte 14
  4. Der Vierte 18
  5. Der Fünfte 24
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