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meine Seele selbst schweifte für Blitzesdauer in ihre Rede hinüber, dann war
mir, ich sah solcheGesichter von innen. »Ich kann nicht anders« steht auf
solchen Gesichtern geschrieben. Und nun sehe ich seit vier Monaten in die
Gesichter der Wirklichen: nicht als ob sie seelenlos wären, gar nicht selten
bricht ein Licht der Seele hervor, aber es huscht wieder weg, aber es ist ein
ewiges Kommen und Wegfliegen wie in einem Taubenschlag, von Stark und
Schwach, von Nächstbestem und Weithergeholtem, von Gemeinem und
Höherem, eine solche Unruhe von Möglichkeiten, und was fehlt, ist der eine
große, nie auszusprechende Hintergedanke, der stetige, der in guten
Gesichtern steht, der wie ein Wegweiser durch die Wirrnis des Lebens auf den
Tod und noch über den Tod hinaus weist, und ohne den mir ein Gesicht keine
Hieroglyphe ist, oder eine verstümmelte, vermischte, geschändete. Und mit
ihren Reden gehts mir wie mit ihren Gesichtern. Auch das ist etwas so
Prekäres, so etwas Unsicheres. Auch da ist mir immer, als könnten sie auch
etwas anderes sagen, und als wäre es gleichgültig, ob sie dies oder jenes
gesagt hätten. Mir ist, als dächten sie immer an mehreres zugleich. Aber der
eine große, nie ausgesprochene Hintergedanke, der allem, was aus eines
Menschen Mund kommt, sein Mark gibt und seinen Klang, und eine Rede zur
menschlichen Rede macht, so wie die Drossel ihren Laut hat und der Panther
den seinen und in seinem Laut die ganze, in Worten nicht zu fassende
Wesenheit seines Daseins – muß ich zurück nach Uruguay oder hinunter nach
den Inseln der Südsee, um wieder von menschlichen Lippen diesen
menschlichen Laut zu hören, der in ein schlichtes Abschiedswort, in eine
Floskel der Gastlichkeit, in eine Frage, in ein hartes, abweisendes Wort
manchmal das Ganze der menschlichen Natur zu legen vermag und mir sagt,
daß ich nicht allein bin auf der weiten Erde? Denn was red ich von Reden und
was red ich von Gesichtern: es gibt den Menschen und nichts als den
Menschen. Und wenn ich meine Deutschen träumte, so waren es Menschen
vor allem. Und wenn mir Menschen nicht unheimlich werden sollen, so muß
ich ihnen anfühlen können, auf was hin sie leben. Ich verlange nicht, daß
einer die Geheimnisse seines Lebens auf der Zunge trägt und mit mir
Gespräche führt über Leben und Sterben und die vier letzten Dinge, aber ohne
Worte soll er mirs sagen, sein Ton soll mirs sagen, sein Dastehen, sein
Gesicht, sein Tun und Treiben. Wenn ich mit ihm esse und trinke, unter
seinem Dach schlafe und mit ihm handle, so will ich erfahren, auf was er
seine Sach gestellt hat, nicht mit ausdrücklichen Worten, implicite, nicht
explicite. Daraufhin will ich es mit Banditen und Goldsuchern wagen, mit
Strafkolonisten, mit New Yorker Obdachlosen, mit wem Du willst. Ich kann
mich in einen hineinfinden, den das Rekordfieber um Milliarden Dollars
zerfrißt, und in einen, der badet und fischt und auf einer mit Taubenfedern
bestickten Matte schläft und seine Frau die Feldarbeit tun läßt; in einen,
dessen Höchstes eine Flasche Rum ist, und in einen, der aus
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Die Briefe des Zurückgekehrten
- Titel
- Die Briefe des Zurückgekehrten
- Autor
- Hugo von Hofmannsthal
- Ort
- Berlin
- Datum
- 1907
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 27
- Schlagwörter
- Briefnovelle
- Kategorien
- Weiteres Belletristik