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daß ich nun, ich selber, mein inneres Leben, so unter diesem bösen Blick lag
wie in den früheren Anwandlungen jene äußeren Dinge. Durch tausend wirre
gleichzeitige Gefühle und Halbgefühle schleifte sich mein Bewußtsein ekelnd
und schwindelnd hin: ich glaube, ich habe in diesen Augenblicken alles noch
einmal denken müssen, was ich seit meinem ersten Schritt in Europa gedacht,
und dazu alles, was ich hinabgedrängt hatte.
Ich kann heute nicht in klare Worte bringen, was wirbelnd durch mein
ganzes Ich ging: aber daß mein Geschäft und mein eigenes erworbenes Geld
mich ekeln mußten, das kam damals auf der ungeheuren und dabei lautlosen
Erregung meines aufgewühlten Innern nur so dahergetanzt wie Treibholz auf
dem Rücken haushoher Südseewellen: ich hatte zwanzigtausend Beispiele in
mich hineingeschluckt: wie sie das Leben selber vergessen über dem, was
nichts sein sollte als Mittel zum Leben und für nichts gelten dürfte als für ein
Werkzeug. Um mich war seit Monaten eine Sintflut von Gesichtern, die von
nichts geritten wurden als von dem Geld, das sie hatten, oder von dem Geld,
das andre hatten. Ihre Häuser, ihre Monumente, ihre Straßen, das war für
mich in diesem etwas visionären Augenblick nichts als die tausendfach
gespiegelte Fratze ihrer gespenstigen Nicht-Existenz, und jäh, wie meine
Natur ist, reagierte sie mit einem wilden Ekel auf mein eigenes bißchen Geld
und alles was damit zusammenhing. Ich sehnte mich, wie der Seekranke nach
festem Boden, fort aus Europa und zurück nach den fernen guten Ländern, die
ich verlassen hatte. Du kannst Dir denken, es war keine gute Verfassung, um
an einem Sitzungstisch Interessen zu vertreten. Ich weiß nicht, was ich nicht
gegeben hätte, um die Konferenz abzusagen. Aber das war undenkbar, und
ich hatte eben hinzugehen und das Beste aus meinem Kopf zu machen. Noch
blieb mir fast eine Stunde. In den großen Straßen herumzugehen war
unmöglich; irgendwo hineingehen und Zeitung lesen war ebenso unmöglich;
denn die redeten nur allzusehr dieselbe Sprache wie die Gesichter und die
Häuser. Ich bog in eine stille Seitenstraße. Da ist in einem Haus ein sehr
anständig aussehender Laden ohne Schaufenster und neben der Eingangstür
ein Plakat: Gesamtausstellung, Gemälde und Handzeichnungen – den Namen
lese ich, verliere ihn aber gleich wieder aus dem Gedächtnis. Ich habe seit
zwanzig Jahren kein Museum und keine Kunstausstellung betreten, ich denke,
es wird mich, worauf es jetzt vor allem ankommt, von meinem unsinnigen
Gedankengang ablenken, und trete ein.
Mein Lieber, es gibt keine Zufälle, und ich sollte diese Bilder sehen, sollte
sie in dieser Stunde sehen, in dieser aufgewühlten Verfassung, in diesem
Zusammenhang. Es waren im ganzen etwa sechzig Bilder, mittelgroße und
kleine. Einige wenige Porträts, sonst meist Landschaften: ganz wenige nur,
auf denen die Figuren das Wichtigere gewesen wären: meist waren es die
Bäume, Felder, Ravins, Felsen, Äcker, Dächer, Stücke von Gärten. Über die
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Die Briefe des Zurückgekehrten
- Titel
- Die Briefe des Zurückgekehrten
- Autor
- Hugo von Hofmannsthal
- Ort
- Berlin
- Datum
- 1907
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 27
- Schlagwörter
- Briefnovelle
- Kategorien
- Weiteres Belletristik