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Malweise kann ich keine Auskunft geben: Du kennst wahrscheinlich fast
alles, was gemacht wird, und ich habe, wie gesagt, seit zwanzig Jahren kein
Bild gesehen. Immerhin erinnere ich mich ganz wohl, zur letzten Zeit meiner
Beziehung mit der W., damals als wir in Paris lebten – sie hatte sehr viel
Verständnis für Bilder –, öfter in Ateliers und Ausstellungen Sachen gesehen
zu haben, die eine gewisse Ähnlichkeit mit diesen hatten: etwas sehr Helles,
fast wie Plakate, jedenfalls ganz anders wie die Bilder in den Galerien. Diese
da schienen mir in den ersten Augenblicken grell und unruhig, ganz roh, ganz
sonderbar, ich mußte mich erst zurechtfinden, um überhaupt die ersten als
Bild, als Einheit zu sehen – dann aber, dann sah ich, dann sah ich sie alle so,
jedes einzelne, und alle zusammen, und die Natur in ihnen, und die
menschliche Seelenkraft, die hier die Natur geformt hatte, und Baum und
Strauch und Acker und Abhang, die da gemalt waren, und noch das andre,
das, was hinter dem Gemalten war, das Eigentliche, das unbeschreiblich
Schicksalhafte –, das alles sah ich so, daß ich das Gefühl meiner selbst an
diese Bilder verlor, und mächtig wieder zurückbekam, und wieder verlor!
Mein Lieber, um dessentwillen, was ich da sagen will, und niemals sagen
werde, habe ich Dir diesen ganzen Brief geschrieben! Wie aber könnte ich
etwas so Unfaßliches in Worte bringen, etwas so Plötzliches, so Starkes, so
Unzerlegbares! Ich könnte mir Photographien von den Bildern verschaffen
und sie Dir schicken, aber was könnten sie Dir geben – was könnten Dir die
Bilder selbst von dem Eindruck geben, den sie auf mich machten und der
vermutlich etwas völlig Persönliches ist, ein Geheimnis zwischen meinem
Schicksal, den Bildern und mir. Ein Sturzacker, eine mächtige Allee gegen
den Abendhimmel, ein Hohlweg mit krummen Föhren, ein Stück Garten mit
der Hinterwand eines Hauses, Bauernwagen mit magern Pferden auf einer
Hutweide, ein kupfernes Becken und ein irdener Krug, ein paar Bauern um
einen Tisch, Kartoffeln essend – aber was nützt Dir das! So soll ich Dir von
den Farben reden? Da ist ein unglaubliches, stärkstes Blau, das kommt immer
wieder, ein Grün wie von geschmolzenen Smaragden, ein Gelb bis zum
Orange. Aber was sind Farben, wofern nicht das innerste Leben der
Gegenstände in ihnen hervorbricht! Und dieses innerste Leben war da, Baum
und Stein und Mauer und Hohlweg gaben ihr Innerstes von sich, gleichsam
entgegen warfen sie es mir, aber nicht die Wollust und Harmonie ihres
schönen stummen Lebens, wie sie mir vorzeiten manchmal aus alten Bildern
wie eine zauberische Atmosphäre entgegenfloß; nein, nur die Wucht ihres
Daseins, das wütende, von Unglaublichkeit umstarrte Wunder ihres Daseins
fiel meine Seele an. Wie kann ich es Dir nahebringen, daß hier jedes Wesen –
ein Wesen jeder Baum, jeder Streif gelben oder grünlichen Feldes, jeder
Zaun, jeder in den Steinhügel gerissene Hohlweg, ein Wesen der zinnerne
Krug, die irdene Schüssel, der Tisch, der plumpe Sessel – sich mir wie
neugeboren aus dem furchtbaren Chaos des Nichtlebens, aus dem Abgrund
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Buch Die Briefe des Zurückgekehrten"
Die Briefe des Zurückgekehrten
- Titel
- Die Briefe des Zurückgekehrten
- Autor
- Hugo von Hofmannsthal
- Ort
- Berlin
- Datum
- 1907
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 27
- Schlagwörter
- Briefnovelle
- Kategorien
- Weiteres Belletristik