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erzählte. »Ein heftiger optischer Eindruck ohne allen höheren Inhalt«, sagte er
mir. »Sie sehen, es handelt sich um ein anomales Nervensystem.« Ohne allen
höheren Inhalt! Wäre ich einer eurer gebildeten Menschen, wären mir eure
Wissenschaften, die nichts sein können als wunderbare, alles sagende
Sprachen, nicht eine verschlossene Welt, wäre ich nicht ein geistiger Krüppel,
besäße ich eine Sprache, in die innerliche wortlose Gewißheiten
hinüberzufließen vermöchten! Aber so!
Aber ich will versuchen, Dir von einem Mal zu sprechen, wo es kam, nicht
zum erstenmal, aber vielleicht stärker als je vorher und nachher. Ein Schauen
ist es, nichts weiter, und jetzt zum ersten Male trifft es mich, wie doppelsinnig
wir das Wort brauchen: daß es mir etwas so Gewöhnliches bezeichnen muß
wie Atmen und zugleich… So gehts mir mit der Sprache: ich kann mich nicht
festketten an eine ihrer Wellen, daß es mich trüge, unter mir gehts dahin und
läßt mich auf dem gleichen Fleck.
Sagte ich nicht, die Farben der Dinge haben zu seltsamen Stunden eine
Gewalt über mich? Doch bins nicht ich vielmehr, der die Macht bekommt
über sie, die ganze, volle Macht für irgendeine Spanne Zeit, ihnen ihr
wortloses, abgrundtiefes Geheimnis zu entreißen, – ist die Kraft nicht in mir,
fühle ich sie nicht in meiner Brust als ein Schwellen, eine Fülle, eine fremde,
erhabene, entzückende Gegenwart, bei mir, in mir, an der Stelle, wo das Blut
kommt und geht? So war es damals an jenem grauen Sturm- und Regentage,
im Hafen von Buenos Aires, frühmorgens – so war es damals und immer.
Aber wenn alles in mir war, warum konnte ich nicht die Augen schließen und
stumm und blind eines unnennbaren Gefühles meiner selbst genießen, warum
mußte ich mich auf Deck erhalten und schauen, vor mich hinschauen? Und
warum erhielt die Farbe der aufschäumenden Wellen, dieser Abgrund, der
sich auftat und wieder schloß, warum schien das, was herankam, in schwerem
Regen, von Gischt umsprüht, warum schien dies kleine mißfarbige Schiff, die
Zollbarkasse war es, die sich auf uns zu arbeitete, dies Schiff und die Höhle
aus Wasser, die wandelnde Welle, die sich mit ihm herwälzte, warum schien
mir (schien! schien! ich wußte doch, daß es so war!) die Farbe dieser Dinge
nicht nur die ganze Welt, sondern auch mein ganzes Leben zu enthalten?
Diese Farbe, die ein Grau war und ein fahles Braun und eine Finsternis und
ein Schaum, in der ein Abgrund war und ein Dahinstürzen, ein Tod und ein
Leben, ein Grausen und eine Wollust – warum wühlte sich hier vor meinen
schauenden Augen, vor meiner entzückten Brust mein ganzes Leben mir
entgegen, Vergangenheit, Zukunft, aufschäumend in unerschöpflicher
Gegenwart, und warum war dieser ungeheuere Augenblick, dies heilige
Genießen meiner selbst und zugleich der Welt, die sich mir auftat, als wäre
die Brust ihr aufgegangen, warum war dies Doppelte, dies Verschlungene,
dies Außen und Innen, dies ineinanderschlagende Du an mein Schauen
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Buch Die Briefe des Zurückgekehrten"
Die Briefe des Zurückgekehrten
- Titel
- Die Briefe des Zurückgekehrten
- Autor
- Hugo von Hofmannsthal
- Ort
- Berlin
- Datum
- 1907
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 27
- Schlagwörter
- Briefnovelle
- Kategorien
- Weiteres Belletristik