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WAS BITS UND BÄUME VERBINDET - Digitalisierung nachhaltig gestalten
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welches andere System könnte so gut neue grüne In- frastrukturen schaffen und nachhaltige Produktions- und Konsummuster etablieren? Mit anderen Worten: Der Kapitalismus soll vor den grünen Karren gespannt werden. Der zweite Grund für das Festhalten am kapi- talistischen System ist, dass wir keine Zeit haben, ihn zu überwinden. Beim Klimawandel bleiben nur weni- ge Jahre, höchstens Jahrzehnte – da kann man nicht parallel noch schnell den Kapitalismus überwinden. Wie das funktionieren kann oder eben nicht, schauen wir uns im Bereich Verkehr genauer an. DIE ALTERNATIVE ZUM PRIVATAUTO: CARSHARING ODER BUS UND BAHN? Die Unternehmen des Silicon Valley treten an, die Mo- bilität der Zukunft als IT-Service zu gestalten, und fordern damit die klassischen Industrien heraus. Ihre Vision ist ein ‹smarter› Verkehr, der mit Daten und Algorithmen gesteuert wird. Plattformkapitalistische Geschäftsmodelle rund um kostenlose Services und die Sammlung von Userdaten sollen die Nutzung fos- siler Energieträger und den ‹dummen›, nicht vernetz- ten Verkehr ablösen. Die Akteure aus dem Silicon Val- ley versprechen uns eine smarte Zukunft, die Lösung ökologischer Probleme mithilfe von Algorithmen und Technologie, und das ganz ohne grundlegende gesell- schaftliche Veränderung – ein generelles Charakte- ristikum der kalifornischen Ideologie. Der Einsatz von viel Kapital, gepaart mit dem Markt, soll es richten. Plattformen dieses neuen Verkehrsmodells drän- gen auch in Deutschland auf den Markt: die Privat- fahrtenvermittlung Uber, Taxi-Vermittlungs-Apps wie MyTaxi, Carsharinganbieter wie DriveNow und Plattformen für die Autovermietung zwischen Pri- vatpersonen wie Tamyca und Drivy. All diesen An- geboten ist gemeinsam, dass der Zugriff auf einen Service den Besitz eines Produkts ablöst. Mit einer ‹Ökonomie des Teilens› oder ‹kollaborativem Wirt- schaften› haben diese allerdings wenig zu tun – sie sind von Unternehmen betriebene neue Nutzungs- formen, bei denen die Profitabilität der Plattform im Vordergrund steht.5 Von einer sinkenden Umweltbelastung der Städte Europas durch die Automobilflut ist allerdings noch nichts zu spüren. Im Gegenteil: Fahrten mit den neuen Flotten, insbesondere der Point-to-Point-Carsharing- angebote, ersetzen eher Fahrten mit dem öffentlichen Personennahverkehr, als dass sie einen nachweisba- ren Effekt auf die Anschaffung und den Betrieb von Privatfahrzeugen hätten.6 Das ist auch kein unerwünschter Nebeneffekt, son- dern erklärtes Ziel: In einer einzigen Presseerklärung verkündete Uber, den Privatbesitz an PKWs überflüssig machen zu wollen – Traumszenario für die Verkehrs- wende. Im selben Atemzug drückte Ubers Chief Exe- cutive Officer Dara Khosrowshahi auch seine Absicht aus, den öffentlichen Personenverkehr durch seinen Service zu ersetzen: «Ich möchte das Bus-System für eine Stadt betreiben.»7 Die Wissenschaftler Brand und Wissen ziehen ein ernüchterndes Fazit über die Bestrebungen des di- gitalen Verkehrssystem: «Im Kern handelt es sich bei den beschriebenen marktfähigen und technologiefixierten Strategien einer Ökologisierung der Automobilität also um den Versuch, die imperiale Lebensweise durch die selektive ökologische Modernisierung […] auf Dauer zu stellen.»8 Doch das gilt wohl nicht nur für das derzeit entstehende digitale Verkehrssystem, sondern – wie wir im folgenden Abschnitt sehen werden – für auf Wirtschaftswachstum ausgerichteten digitalen Kapi- talismus insgesamt. DIE WACHSTUMSLOGIK BLEIBT ERHALTEN In den 20er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts gelang der amerikanischen Automobilindustrie in- mitten der Weltwirtschaftskrise eine bahnbrechende Erfindung. Keine technische allerdings, sondern eine des Marketings: «Jedes Jahr ein neues Auto!» Alfred Slo- an forderte, die «Änderungen am neuen Modell sollten so neu und attraktiv sein, dass eine Nachfrage entsteht [...] bis zu einer gewissen Unzufriedenheit mit früheren [Modellen]»9 Der Chef von General Motors hatte damit die dynamische Obsoleszenz erfunden. Letztendlich sollte diese Strategie der Einführung von Produkten mit bewusst begrenzter Haltbarkeitsdauer zu einem Schlüsselelement der amerikanischen (und globalen) Konsumwirtschaft werden. Diese Logik setzt sich in der digitalen Version des Kapitalismus fort. Heute ist es nicht nur ‹Jedes Jahr ein neues Auto›, sondern außerdem ‹Jedes Jahr ein neues Smartphone›. Genauer gesagt: Neben kontinuierlich neue Autos treten kontinuierlich neue Smartphones. Und selbst bei den Autos wirkt die Digitalisierung als Wachstumsbeschleuniger: Was aktuelle Autos von Versionen vor ein paar Jahren unterscheidet, hat immer auch etwas mit digitalen Möglichkeiten zu tun: Einparkhilfen, Ansätze autonomen Fahrens, Außen- kameras und anderem mehr. Auch werden die Autos hierdurch immer schwieriger zu reparieren – was die Abhängigkeit von den Konzernen weiter steigen lässt. ///077 1 0 0 1 1 0 1
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WAS BITS UND BÄUME VERBINDET Digitalisierung nachhaltig gestalten
Title
WAS BITS UND BÄUME VERBINDET
Subtitle
Digitalisierung nachhaltig gestalten
Author
Anja Höfner
Editor
Vivian Frick
Publisher
oekom verlag
Location
München
Date
2019
Language
German
License
CC BY-NC-SA 3.0
ISBN
978-3-96238-149-3
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
152
Keywords
Digitalisierung, Entwicklungszusammenarbeit, Politik, Ressourceneffizienz, Nachhaltigkeitskommunikation
Categories
Informatik
Technik
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