Page - 95 - in WAS BITS UND BÄUME VERBINDET - Digitalisierung nachhaltig gestalten
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Rollen- und Konsummuster erhalten bleiben und
sich mit einem ‹neuen Gesicht› reproduzieren? Hier
gilt es eine kritisch-konstruktive Aufmerksamkeit
der ‹Community› zu schaffen und voranzutreiben.
Insgesamt gibt es bislang allenfalls eine lückenhafte
Forschung zur Digitalisierung im Bereich Gender.3
Dabei bewegt die Frage der Geschlechterverhältnisse
die Menschen in ihrem Zusammenleben schon seit
Langem. Politisch tritt dies besonders in den letzten
100 Jahren zutage. Wir denken beispielsweise an
100 Jahre Frauenwahlrecht in Deutschland und an
die erste Frauen bewegung zu Beginn des 20. Jahr-
hunderts mit Persön lichkeiten wie Rosa Luxemburg,
Käthe Kollwitz und Marie Juchacz.4 Im Folgenden an
die zweite Frauenbewe gung der 1970er-Jahre sowie
die dritte Welle der Frauen bewegung der 2000er-Jahre.
Hier wird eine klare Ausdifferenzierung in verschie-
dene Interessengruppen und Theorie
zweige sichtbar.
Denken wir beispielsweise an diskursanalytische An-
sätze, queerfeministische Theorie bildung, an Arbei-
ten zu Klassismus oder
die Kritik neuer Arbeits-
und Technikstrukturen
(Care-Debatte, Cyborg-
forschung etc.). Eine Aus-
einandersetzung mit der
Digitalisierung ist jedoch
nur in Nischen verbreitet
und siedelt sich meist in
der Arbeitssoziologie an.5
Wir wollen auf dieses Phä-
nomen aufmerksam machen und dazu anregen, den
Feminismus bzw. die Genderfrage mit den Themen
Nachhaltigkeit und der Digitalisierung zu verbinden.
WIE FORSCHER*INNEN DIE THEMEN
DIGITALISIERUNG UND GENDER VERKNÜPFEN
Bisher setzen sich Forscher*innen in drei Bereichen
mit den Themen Digitalisierung und Gender ausein-
ander:6 Der Fokus ‹Digital (Gender) Divide› beschäf-
tigt sich mit der digitalen Teilhabe. Der durch soziale
Ungleichheit erschwerte Zugang zum Internet ist
auch geschlechtsspezifisch konnotiert. Bildungs-
stand, Einkommen und Alter sind hier von Relevanz
und spiegeln Geschlechterungleichheiten (global
schwankend) im jeweiligen Land wieder. Ebenso sind
geschlechtsspezifische Nutzungsweisen des Inter-
nets zu beobachten, wobei neben unterschiedlichen
Interessen auch ungleiche Zeitkapazitäten in der
Freizeit durch ungleiche Verteilung von Care-Arbeit eine Rolle spielen. In unseren Interviews hat sich
gezeigt, dass sich die Hoffnung, durch die Digitali-
sierung die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu
verbessern, nicht erfüllt hat. Durch Homeoffice und
digitale Anwendungen wird mancher Arbeitsprozess
von Frauen vielleicht effizienter, und es wird Zeit
eingespart. Das Volumen und die Dichte der Arbeit
steigen aber meist an, und die Verteilung von nicht
entgoltener Care-Arbeit zwischen den Geschlech-
tern wird durch Digitalisierung nicht berührt (dieses
Phänomen zeigt sich im
Nachhaltigkeitsbereich als
Reboundeffekt). Wikipedia
wird beispielsweise mehr-
heitlich von Männern bear-
beitet: sicherlich aus persön-
lichem Interesse, aber auch
aus Zeitgründen, die mit der
Verteilung von Sorge arbeit
zwischen den Geschlechtern
korrespondieren.7
Ein weiterer Forschungsstrang nimmt das Thema
der Geschlechtsneutralität in der technischen Um-
setzung von Digitalisierung in den Blick. Vor diesem
Hintergrund kritisieren vor allem neuere Studien,
dass die IT-Entwicklung von Stereotypen und einem
starken Androzentrismus, also der gesellschaftlichen
Fixierung auf das ‹Männliche›, geprägt ist. Ein Bei-
spiel ist die Robotikentwicklung: Hier werden oft Ge-
schlechterstereotypen genutzt, um die Akzeptanz
von Robotern zu erhöhen. So werden Roboter im
Pflege bereich vorwiegend von Männern entwickelt,
aber mit dezidiert weiblichen Attributen designt.8
Geschlechterstereotypen werden unreflektiert repro-
duziert und verstärkt. Es muss insgesamt von wenig
Geschlechtsneutralität in der technischen Umsetzung
von Digitalisierung ausgegangen werden. Selbst wenn
Frauen in der Internet- und Programmierbranche tätig
sind, sind sie doch eher für gestalterische (weibliche)
‹Front-End-Aufgaben› als für technische (männliche)
programm relevante ‹Back-End-Auf gaben› zuständig.
Hier muss noch mehr durch Initiativen wie die ‹Rails
Girls› (www.railsgirlsberlin.de) gegengesteuert wer-
den, eine weltweite Community, die Workshops für
Frauen organisiert, um Ruby on Rails zu lernen.
IN ‹VIRTUELLEN› RÄUMEN
GIBT ES KEINE NETZNEUTRALITÄT
Mit dem Aufkommen des Internets, seinen vielseiti-
gen Zugängen zu Informationen und dem dahinter-
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Wir wollen dazu
anregen, den
Feminismus und die
Genderfrage mit den
Themen Nachhaltigkeit
und Digitalisierung
zu verbinden.
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Es muss insgesamt
von wenig Geschlechts-
neutralität in der
technischen Umsetzung
von Digitalisierung
ausgegangen werden.
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WAS BITS UND BÄUME VERBINDET
Digitalisierung nachhaltig gestalten
- Title
- WAS BITS UND BÄUME VERBINDET
- Subtitle
- Digitalisierung nachhaltig gestalten
- Author
- Anja Höfner
- Editor
- Vivian Frick
- Publisher
- oekom verlag
- Location
- München
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-SA 3.0
- ISBN
- 978-3-96238-149-3
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 152
- Keywords
- Digitalisierung, Entwicklungszusammenarbeit, Politik, Ressourceneffizienz, Nachhaltigkeitskommunikation
- Categories
- Informatik
- Technik