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336 Christian Bergauer
Christian Bergauer • Das materielle
Computerstrafrecht¶
Der strenge strafrechtliche Gewahrsamsbegriff, der als die » vom na-
türlichen Herrschaftswillen getragene tatsächliche Sachherrschaft « 1657
definiert wird, führt aber iZm unkörperlichen, ubiquitären Sachen zu
nicht sachgerechten Ergebnissen. Stellt man sich etwa den Fall vor, wo
sich der Täter ein Schadprogramm verschafft, indem er es in einem
Online- bzw Cloud-Speicher ( auf einem fremden – auch ausländi-
schen – Server ) im Internet abspeichert, so fehlt es an jeglicher fakti-
scher Sachherrschaft des Täters über eine » körperliche Sache «. Bezüg-
lich des konkreten ( körperlichen ) Massenspeichers des verwendeten
Servers hat – und will 1658 – der Täter keine Sachherrschaft, er darf idR
lediglich ĂĽber ihm zugewiesene ( dynamische 1659 ) Speicherbereiche ver-
fĂĽgen. Da das faktische Herrschaftselement einzelfallspezifisch nach
der verständigen Verkehrsauffassung zu beurteilen ist, könnte auf die
Rechtsfigur des » gelockerten Gewahrsams « 1660 bzw des » sozialen Ge-
wahrsams « zurückgegriffen werden. Dabei wird das Kriterium der un-
mittelbaren Beherrschbarkeit bzw greifbaren, räumlichen Nähe des
Gegenstands insoweit » gelockert «, als eine solche dann nicht vorliegen
muss, wenn der Gegenstand kraft sozialer Zuschreibungsmomente der
Person herrschaftsmäßig zugeordnet werden kann. Man vergleiche
bspw die Sonntagszeitungen in den Zeitungsständern und die einge-
worfenen MĂĽnzen, an denen der Aufsteller Gewahrsam hat.1661
Doch auch ein solches Verständnis hält letztlich an der Zuordnung
einer körperlichen Sache zu einer Person fest. Um daher zu einem zu-
treffenden und wohl nach – wie Lewisch es noch zum gelockerten Ge-
wahrsam ausdrückt 1662 – » gesundem Menschenverstand « auch sinnvol-
1657 Vgl statt vieler Birklbauer / Hilf / Tipold, Strafrecht BT I 2 § 127 Rz 19 mwN.
1658 Es kommt ihm auch subjektiv nicht auf den Datenträger, sondern auf die » Infor-
mation « an.
1659 Welche Speicherbereiche der Täter tatsächlich verwenden darf und wo sich diese
konkret befinden, hängt aber wieder von den freien Ressourcen und Kriterien des
Speichermanagements am Server ab und ist einer Disposition des Nutzers voll-
ständig entzogen.
1660 Vgl etwa Kienapfel / Schmoller, Studienbuch Strafrecht. Besonderer Teil II ( 2003 )
§ 127 Rz 67; Leukauf / Steininger, StGB 3 § 127 Rz 21; Bertel in WK 2 § 127 Rz 15; Salimi
in SbgK § 127 Rz 84 ( Stand November 2012 ); Birklbauer / Hilf / Tipold, Strafrecht BT
I 2 § 127 Rz 20 f; Schwaighofer, Neue Ansichten des OGH zum Gewahrsamsbegriff –
Bemerkungen zu 13 Os 69 / 11p, JSt 2012, 66; weiters auch jĂĽngst OGH 28. 09. 2010, 14
Os 126 / 10a.
1661 Siehe OGH 20. 12. 1989, 14 Os 109 / 89 ( 14 Os 110 / 89 ); weitere Beispiele bei Birk-
lbauer / Hilf / Tipold, Strafrecht BT I 2 § 127 Rz 21.
1662 Siehe Lewisch, Strafrecht. Besonderer Teil I. §§ 75 – 168e 2 ( 1999 ) 148.
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Das materielle Computerstrafrecht
- Title
- Das materielle Computerstrafrecht
- Author
- Christian Bergauer
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0043-3
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 700
- Keywords
- Cybercrime, substantive criminal law, malicious software, denial of service-attacks, hacking, Cyber-bullying, Computerkriminalität, Computerstrafrecht, Malware, Datenbeschädigung, Systemschädigungen, Hacking, Cyber-Mobbing
- Categories
- Informatik
- Recht und Politik