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Dogmatische Betrachtung des Computerstrafrechts im engen Sinn
Christian Bergauer • Das materielle Computerstrafrecht ¶
Daten seiner Kunden fehlen dürfte ), nach dem faktisch-normativen Ge-
wahrsamsbegriff die Abbildungen in seinem Besitz hat ( Provider ).2374
Keiner der Nutzer dieses Online-Speichers hat den körperlichen
Gegenstand » Festplatte mit den inkriminierten Darstellungen « in sei-
ner tatsächlichen Herrschaftsgewalt. Das heißt, dass die Nutzer über
die ( körperliche ) Festplatte selbst weder frei verfügen können, noch
auf sie unmittelbar physisch einwirken oder etwa Kontroll- oder Über-
wachungsmöglichkeiten 2375 ausüben.2376 Sie können lediglich über ihre
Funktionalität der Datenverwaltung in einem sehr kleinen Ausschnitt
mittels eines virtuellen Zugangs verfügen ( iSd Abs 3 a ). Nicht aber kön-
nen eigenverantwortlich Veränderungen am Datenträger selbst per
Weisung oder Auftrag wirksam dem unmittelbaren Sachinhaber ( hier:
Provider ) erteilt werden. Insoweit ist jeder Nutzer nur ein Mitverfügungs-
berechtigter. Man wird aber sinnvollerweise und nach allgemeiner Ver-
kehrsanschauung in diesem Fall von einem Besitz an den auf dem ( frem-
den ) Datenträger verkörperten Darstellungen auszugehen haben, selbst
wenn die Nutzer keine unmittelbare tatsächliche Nähe oder soziale Zu-
ordnung zum körperlichen Datenträger haben ( » Quasi-Gewahrsam « 2377 ).
Nach der Rsp ist nämlich nicht nur die strenge unmittelbare Ein-
wirkungsmöglichkeit des Gewahrsamsträgers auf die Sache selbst
maßgebend, sondern vielmehr die soziale Zuordnung von Person und
Sache.2378 Demnach ist der Gewahrsam jene Zugehörigkeit einer Sache
zu einer Person, die auch ein Außenstehender nicht nur als eine räum-
liche Beziehung, sondern als eine auf sozialen Gepflogenheiten beru-
hende Verbindung von Sache und Person zu erkennen vermag. Daher
erfordert dieses Verhältnis auch keine greifbare Nähe zur Sache.2379
2374 Auf eine etwaige Strafbarkeit des Host-Providers unter Bedachtnahme der Provi-
derhaftung gem §§ 13 ff ECG wird hier nicht näher eingegangen.
2375 Siehe Kienapfel / Schmoller, StudB BT II § 127 Rz 90; weiters OGH 03. 06. 2003, 14 Os
51 / 03, wobei dieses Kriterium als » wesentlich « für einen gelockerten bzw sozialen
Gewahrsam erachtet wird.
2376 Abgesehen von der mittelbaren ( bestimmungsgemäßen ) Möglichkeit durch das
Hinzufügen oder Löschen von Daten technisch bedingte physikalische Eigen-
schaften der Festplatte zu verändern.
2377 Siehe oben.
2378 Siehe dazu auch die Ausführungen zur widerrechtlichen Geldbehebung an einem
Bankomaten S 376 ff.
2379 Siehe dazu OGH 10. 12. 1996, 14 Os 71 / 96 ( 14 Os 78 / 96 ) mwN; auch OGH 28. 09. 2010,
14 Os 126 / 10a bzw RIS-Justiz RS0099100 mwN.
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Das materielle Computerstrafrecht
- Title
- Das materielle Computerstrafrecht
- Author
- Christian Bergauer
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0043-3
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 700
- Keywords
- Cybercrime, substantive criminal law, malicious software, denial of service-attacks, hacking, Cyber-bullying, Computerkriminalität, Computerstrafrecht, Malware, Datenbeschädigung, Systemschädigungen, Hacking, Cyber-Mobbing
- Categories
- Informatik
- Recht und Politik