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600 Christian Bergauer
Christian Bergauer • Das materielle
Computerstrafrecht¶
C. Zu traditionellen Rechtsinstituten der
Strafrechtsdogmatik im Fokus der IKT
Aufgrund der einzigartigen Wesensmerkmale der IKT erweisen sich die
traditionellen Rechtsinstitute nicht immer als sachgerecht. Dies be-
trifft insb den strengen strafrechtlichen Gewahrsamsbegriff, der in al-
len seinen ohnehin umstrittenen Auflockerungen ( vgl gelockerter bzw
sozialer Gewahrsam ) an einer körperlichen Sache andockt. Es stellt
sich in diesem Zusammenhang zB die Frage, ob das Sich-Verschaffen
eines Zugangscodes zu einem Computersystem ( vgl § 126 c Abs 1 Z 2 )
tatsächlich nur strafbar sein soll, wenn der Täter den Zugangscode auf
einem körperlichen Träger in seinen Besitz nimmt oder ob – was wohl
rechtspolitisch gewünscht ist – auch die bloße Kenntnisverschaffung
desselben dafür schon genügt. Ähnliche Überlegungen gilt es iZm por-
nographischen Darstellungen Minderjähriger anzustellen, wenn sich
der Täter solche inkriminierten Bilddateien auf einen Online- bzw
Cloud-Speicher im Internet abspeichert, welcher in seiner körperli-
chen Erscheinungsform beim Täter idR überhaupt nicht besitzwirk-
sam werden kann. Dem grundlegenden Erfordernis des traditionellen
Gewahrsamsbegriffs, dass über eine körperliche Sache – wenn auch
nach einem gelockerten Verständnis – Herrschaft ausgeübt werden
muss, kann in diesem Fall nicht Rechnung getragen werden. Vielmehr
ist auf eine spezielle IKT-adaptierte Form des Gewahrsams abzustel-
len, die auf den » informationstechnischen Zugriff « bzw die vollstän-
dige VerfĂĽgungsberechtigung ĂĽber die ( Computer- ) Daten abstellt ( hier
» Quasi-Gewahrsam « genannt ).
Auch das Rechtsinstitut der Tätigen Reue nach § 167, welche aus-
schließlich im Vermögensstrafrecht ihre strafaufhebende Wirkung
entfalten kann, lässt bei Daten- oder Systembeschädigungen, an wel-
chen lediglich ein subjektives Affektionsinteresse – oder jedenfalls ein
anderes als das bloße Vermögensinteresse – besteht, rechtspolitische
WidersprĂĽche zutage treten.
Ein Täter, der zwar eine qualifizierte Datenbeschädigung iSd § 126 a
Abs 2 Fall 2 mit einem Schaden von über € 50.000,– herbeigeführt hat,
kann – die entsprechenden Anforderungen des § 167 vorausgesetzt –
Tätige Reue üben und einer Bestrafung dadurch entgehen. Im Ge-
gensatz dazu kann für einen Täter diese Möglichkeit der Strafaufhe-
bung nicht in Betracht kommen, der lediglich eine einzige Bilddatei,
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Das materielle Computerstrafrecht
- Title
- Das materielle Computerstrafrecht
- Author
- Christian Bergauer
- Publisher
- Jan Sramek Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0043-3
- Size
- 15.0 x 23.0 cm
- Pages
- 700
- Keywords
- Cybercrime, substantive criminal law, malicious software, denial of service-attacks, hacking, Cyber-bullying, Computerkriminalität, Computerstrafrecht, Malware, Datenbeschädigung, Systemschädigungen, Hacking, Cyber-Mobbing
- Categories
- Informatik
- Recht und Politik