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Zahlreiche Texte der österreichischen Literatur nach 1945 inszenieren die
Grenze zwischen den Blöcken in dramatisch zugespitzten Episoden als lebens-
gefährliche Trennlinie. „Grenze“ meint hier stets eine territoriale Grenze, also
eine Staats- oder Landesgrenze, und dabei „sowohl Grenzlinie wie den Grenz-
raum“9. Eine Fokussierung auf dieses Motiv war für die österreichischen Schrift-
stellerinnen und Schriftsteller naheliegend, da sich 750 Kilometer der Staats-
grenze Österreichs direkt am Eisernen Vorhang befanden. Immer wieder
beschreiben Romane, Erzählungen, Dramen etc. die Grenze unter den Vorzei-
chen des Prekären, der Gefahr und des Todes. Nichtsdestotrotz wird in vielen
Texten der „Eiserne Vorhang“ ‚aufgehoben‘, gelingt es den Protagonistinnen und
Protagonisten einen Weg zu finden, den dickmaschigen Stacheldraht zu über-
winden, um von der einen Seite zur anderen, – und manchmal auch wieder
zurück –, zu gelangen (vgl. Kapitel 2: Reisen ins Rote). Dass der Vorhang nicht
nur ein sprachliches Bild im Systemkonflikt war, darauf weist der Briefträger in
Gefährliche Grenze hin. So warnt er die beiden Buben vor dieser prekären Zone:
Darum sag ich euch ja, nehmt euch in acht! Seht ihr dort drüben den Jungwald?
Dahinter der schwarze Strich ist älteres Holz und stellenweise recht dicht. Wo die-
ser Wald aufhört, zieht sich die Grenzstraße, immer neben dem Stacheldrahtzaun
hin. Da ist das Burgenland aus. (GG 157 f.)
Im Weiteren beschreibt er die Wachtürme, von denen „die Grenzbesatzung der
ungarischen Volksrepublik“ die Grenze beobachtet „und zwar verdammt scharf
beobachtet, ob sich wohl niemand über die Grenze schleicht, weder hinüber
noch herüber“ (GG 158). Ein zusätzliches Erschwernis beim Übertreten der
Grenze seien noch die Scheinwerfer, die nächtlich den Grenzstreifen ausleuch-
ten würden: „Wer in diesem Licht auftaucht, wird sofort beschossen“ (ebd.). Der
Briefträger erzählt den Buben zwar von Geheimwegen über die Grenze, kons-
tatiert jedoch, dass man genau wissen müsste, wo ein gefahrloses Übertreten der
Grenze möglich sei, denn derjenige, der „es nicht weiß, schaut bald die Gras-
wurzeln von untenher an“ und er prophezeit den Buben eine „pulverisierte Him-
melfahrt“ (ebd.), sollten sie die im Todesstreifen verborgenen Minen auslösen.
Als Metapher war der „Eiserne Vorhang“ in der zweiten Hälfte des 20.
Jahrhun-
derts nicht neu. Er findet sich als Bild für eine unüberwindbare Grenze bereits in
H.
G. Wells Roman The Food of the Gods (1904, dt. Die Riesen kommen). Die frühe
die Mahnung. In: Claudia Ham (Hg.): Der Eiserne Vorhang. A Asfüggöny. Katalog zur Son-
derausstellung, gemeinsam mit dem Militärhistorischen Museum, Budapest, 24.
April bis 20.
Juli
2001. Wien: Heeresgeschichtliches Museum 2001, S. 15–52.
9 Dieter Lamping: Über Grenzen. Eine literarische Topographie. Göttingen: Vandenhoeck &
Ruprecht 2001, S. 10. Der „Eiserne Vorhang“: Das Symbol des Kalten Krieges 23
Diskurse des Kalten Krieges
Eine andere österreichische Nachkriegsliteratur
- Title
- Diskurse des Kalten Krieges
- Subtitle
- Eine andere österreichische Nachkriegsliteratur
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20380-3
- Size
- 15.9 x 24.0 cm
- Pages
- 742
- Categories
- Geschichte Nach 1918