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eigentlich vorgeht. Dass der Roman genau diese Frage literarisch gestaltet, war
jedoch keine Idee des Autors. Katz war zwar Kommunist, jedoch bedurfte es der
Direktive des Ostberliner Kinderbuchverlages, um den Text so linientreu zu ver-
fassen, wie er schlussendlich vorliegt.4 Das zentrale Handlungselement der Rei-
se nach Ungarn wurde vom Verlag angeregt. Katz hatte ihm ursprünglich einen
Kinder- und Jugendroman angeboten, in dem ein Kind aus Deutschland nach
Amerika reisen sollte.5 Er erhielt darauf folgende Antwort:
Das Thema ‚Amerikareise‘ ist für uns im Augenblick wenig aktuell. Wesentlich
interessanter und auch für unsere Kinder wichtiger wäre es, die Reise eines Kindes
– es ist dabei gleich, ob es sich um ein deutsches oder österreichisches Kind han-
delt – nach Ungarn oder in die Tschechoslowakei zu schildern. Sie können dabei
gleich auf die Jugendbewegung in den Volksrepubliken zu sprechen kommen und
Dinge berichten, die gerade für unsere Pioniere von Wert sind.6
Der Wunsch des DDR-Verlages, das Thema ‚Reise in eine Volksrepublik‘ möge
bearbeitet werden, entspricht einer kommunististischen Propagandaoffensive
der frühen 1950er-Jahre. So finden sich entsprechende Antworten auf die Frage,
wie es hinter der Grenze wirklich aussehen mag, auch in den zahlreichen Ost-Rei-
seberichten, die in KPÖ-Organen und KPÖ-nahen Zeitschriften wie Tagebuch,
Österreichische Volksstimme, Neue Volksbildung, die Brücke oder die
Arbeit, aber auch in Form von diversen Broschüren erschienen sind, die im
Globusverlag gedruckt wurden. Herausgegeben wurden diese von österreichi-
schen kommunistischen Organisationen wie der „Österreichisch-Sowjetischen
Gesellschaft“, dem „Zentralkomitee der KPÖ“, der „Freien österreichischen
Jugend“, dem „Bund demokratischer Lehrer und Erzieher Österreichs“ oder der
„Gesellschaft zur Pflege der kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen zur
Sowjetunion“, oft in Zusammenarbeit mit sowjetischen Schwesterorganisationen
wie dem „Sowjetischen Informationsdienst“, dem „Zentralrat der sowjetischen
4 Eine beträchtliche Schärfung der politischen Linie im Text geht klar nachweisbar auf den Ver-
lag und dessen „Lektorin“ zurück. Vgl. dazu den Briefwechsel zwischen Leo Katz und Ilse Ploog
vom Kinderbuchverlag in Ostberlin zw. 6.5.1950 und 7.6.1951. Literaturarchiv der Österrei-
chischen Nationalbibliothek, Nachlass Leo Katz, Sign.: 169/01.
5 Das Thema Amerikareise bearbeitet Katz in einem zweiten, u. W. ungedruckten Kinder- und
Jugendroman mit dem Titel Belas Heimkehr. Ein Auszug mit dem Titel Das Verhör schildert
die Heimfahrt eines ungarischen Jungen aus dem Exil, der von amerikanischen Beamten des
HUAC verhört wird. [Leo Katz]: Das Verhör. In: Österreichische Volksstimme, 4.2.1951,
S. 8. Vgl. Ilse Ploog an Leo Katz, Brief vom 11.4.1951. Literaturarchiv der Österreichischen
Nationalbibliothek, Nachlass Leo Katz, 169/01.
6 Ilse Ploog an Leo Katz, Brief vom 6.5.1950. Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbib-
liothek, Nachlass Leo Katz, 169/01.
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56 2 Reisen ins Rote – Augenzeugen hinter dem Eisernen Vorhang
Diskurse des Kalten Krieges
Eine andere österreichische Nachkriegsliteratur
- Title
- Diskurse des Kalten Krieges
- Subtitle
- Eine andere österreichische Nachkriegsliteratur
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20380-3
- Size
- 15.9 x 24.0 cm
- Pages
- 742
- Categories
- Geschichte Nach 1918