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gehen, an deren Namen der Ruhm vorbeigeglitten ist und denen der Dichter
erst den Ruhm wieder schenken muß. Er weiß, daß jede Sekunde des Lebens
eine ungeheure Fülle von Energie unwirksam verschwendet. Ihm ist bewußt,
daß die Eugenie Grandet, das sentimentale Provinzmädel, in dem
Augenblicke, wo sie, erzitternd vor dem geizigen Vater, ihrem Vetter die
Geldbörse schenkt, nicht minder tapfer ist als die Jeanne d’Arc, deren
Marmorbild auf jedem Marktplatze Frankreichs leuchtet. Erfolge können den
Biographen unzähliger Karrieren nicht blenden, den nicht täuschen, der alle
Schminken und Mixturen des sozialen Auftriebs chemisch zersetzt hat.
Balzacs unbestechliches Auge, einzig nach Energie ausspähend, sieht aus dem
Gewühl der Tatsachen immer nur die lebendige Anspannung, greift in jenem
Gedränge an der Beresina, wo das zersprengte Heer Napoleons über die
Brücke strebt, wo Verzweiflung und Niedertracht und Heldentum hundertfach
geschilderter Szenen zu einer Sekunde zusammengedrängt sind, die wahren,
die größten Helden heraus: die vierzig Pioniere, deren Namen niemand kennt,
die drei Tage bis zur Brust im eiskalten, schollentreibenden Wasser gestanden
hatten, um jene schwanke Brücke zu bauen, auf der die Hälfte der Armee
entkam. Er weiß, daß hinter den verhängten Scheiben von Paris in jeder
Sekunde Tragödien geschehen, die nicht geringer sind als der Tod der Julia,
das Ende Wallensteins und die Verzweiflung Lears, und immer wieder hat er
das eine Wort stolz wiederholt: „Meine bürgerlichen Romane sind tragischer
als eure tragischen Trauerspiele.“ Denn seine Romantik greift nach innen.
Sein Vautrin, der Bürgerkleidung trägt, ist nicht minder grandios als der
schellenumhangene Glöckner von Notre-Dame, der Quasimodo des Viktor
Hugo, die starren felsigen Landschaften der Seele, das Gestrüpp von
Leidenschaft und Gier in der Brust seiner großen Streber ist nicht minder
schreckhaft, als die schaurige Felsenhöhle des Han d’Islande. Balzac sucht
das Grandiose nicht in der Draperie, nicht im Fernblick auf das Historische
oder Exotische, sondern im Überdimensionalen, in der gesteigerten Intensität
eines in seiner Geschlossenheit einzig werdenden Gefühls. Er weiß, daß jedes
Gefühl erst bedeutsam wird, wenn es in seiner Kraft ungebrochen bleibt, jeder
Mensch nur groß, wenn er sich konzentriert in ein Ziel, sich nicht
verschleudert, in einzelne Begierden zersplittert, wenn seine Leidenschaft die
allen anderen Gefühlen zugedachten Säfte in sich auftrinkt, durch Raub und
Unnatur stark wird, so wie ein Ast mit doppelter Wucht erst aufblüht, wenn
der Gärtner die Zwillingsäste gefällt oder gedrosselt hat. Solche Monomanen
der Leidenschaft hat er geschildert, die in einem einzigen Symbol die Welt
begreifen, einen Sinn sich statuierend in dem unentwirrbaren Reigen. Eine
Art Mechanik der Leidenschaften ist das Grundaxiom seiner Energetik: der
Glaube, daß jedes Leben eine gleiche Summe von Kraft verausgabe,
gleichviel, an welche Illusionen es diese Willensbegehrungen verschwende,
gleichviel, ob es sie langsam verzettle in tausend Erregungen, oder sparsam
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Drei Meister
Balzac - Dickens - Dostojewski
- Title
- Drei Meister
- Subtitle
- Balzac - Dickens - Dostojewski
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1920
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 134
- Keywords
- Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Romain Rolland als Dank für seine unerschütterliche Freundschaft in lichten und dunklen Jahren 5
- Balzac 7
- Dickens 29
- Dostojewski 50
- Einklang 51
- Das Antlitz 54
- Die Tragödie seines Lebens 56
- Sinn seines Schicksals 66
- Die Menschen Dostojewskis 77
- Realismus und Phantastik 90
- Architektur und Leidenschaft 103
- Der Überschreiter der Grenzen 113
- Die Gottesqual 121
- Vita Triumphatrix 131