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Drei Meister - Balzac - Dickens - Dostojewski
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Page - 113 - in Drei Meister - Balzac - Dickens - Dostojewski

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Der Überschreiter der Grenzen „Daß du nicht enden kannst, das macht dich groß.“ Goethe Tradition ist steinerne Grenze von Vergangenheiten um die Gegenwart: wer ins Zukünftige will, muß sie überschreiten. Denn die Natur will kein Innehalten im Erkennen. Zwar scheint sie Ordnung zu fordern und liebt doch nur den, der sie zerstört um einer neuen Ordnung willen. Immer schafft sie sich in einzelnen Menschen durch Übermaß ihrer eigenen Kräfte jene Konquistadoren, die von den heimischen Ländern der Seele in die dunklen Ozeane des Unbekannten hinausfahren zu neuen Zonen des Herzens, neuen Sphären des Geistes. Ohne diese kühnen Überschreiter wäre die Menschheit in sich gefangen, ihre Entwicklung ein Kreisgang. Ohne diese großen Boten, in denen sie sich gleichsam selbst vorauseilt, wäre jede Generation unkund ihres Weges. Ohne diese großen Träumer wüßte die Menschheit nicht um ihren tiefsten Sinn. Nicht die ruhigen Erkenner, die Geographen der Heimat, haben die Welt weit gemacht, sondern die Desperados, die über unbekannte Ozeane zum neuen Indien fuhren: nicht die Psychologen, die Wissenschaftler, haben die moderne Seele in ihrer Tiefe erkannt, sondern die Maßlosen unter den Dichtern, die Überschreiter der Grenzen. Von diesen großen Grenzüberschreitern der Literatur ist Dostojewski in unseren Tagen der größte gewesen, und keiner hat so viel Neuland der Seele entdeckt als dieser Ungestüme, dieser Maßlose, dem nach seinem eignen Wort „das Unermeßliche und Unendliche so notwendig war wie die Erde selbst“. Nirgends hat er innegehalten, „überall habe ich die Grenze überschritten,“ schreibt er stolz und selbstanklagend in einem Briefe, „überall“. Und unmöglich ist es fast, alle seine Taten aufzuzählen, die Wanderungen über die eisigen Grate des Gedankens, die Niederstiege zu den verborgensten Quellen des Unbewußten, die Aufstiege, die gleichsam traumwandlerischen Aufstiege zu den schwindelnden Gipfeln des Selbsterkennens. Wo kein gewöhnlicher Weg war, er hat ihn beschritten, wo Labyrinth und Wirrnis war, am liebsten gelebt. Nie hat die Menschheit zuvor so tief den Mechanismus und die Mystik ihres seelischen Wesens erkannt, sie ist wacher und bewußter geworden in seinem Blick und gleichzeitig geheimnisvoller und göttlicher in seinem Gefühl. Ohne ihn, den großen Überschreiter alles Maßes, wüßte die Menschheit weniger um ihr eingeborenes Geheimnis, weiter als je blicken wir von der Höhe seines Werkes in das Zukünftige hinein. 113
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Drei Meister Balzac - Dickens - Dostojewski
Title
Drei Meister
Subtitle
Balzac - Dickens - Dostojewski
Author
Stefan Zweig
Date
1920
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
134
Keywords
Literatur, Schriftsteller
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Romain Rolland als Dank für seine unerschütterliche Freundschaft in lichten und dunklen Jahren 5
  2. Balzac 7
  3. Dickens 29
  4. Dostojewski 50
  5. Einklang 51
  6. Das Antlitz 54
  7. Die Tragödie seines Lebens 56
  8. Sinn seines Schicksals 66
  9. Die Menschen Dostojewskis 77
  10. Realismus und Phantastik 90
  11. Architektur und Leidenschaft 103
  12. Der Überschreiter der Grenzen 113
  13. Die Gottesqual 121
  14. Vita Triumphatrix 131
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