Page - 17 - in Drei Meister - Balzac - Dickens - Dostojewski
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Druck der Atmosphäre, sie peitschen zu lassen durch das Gefühl, sie zu
berauschen an den Elixieren des Hasses und der Liebe, sie rasen zu lassen im
Rausche, am Prellstein des Zufalls die einen zu zerschmettern, sie
zusammenzupressen und auseinanderzureißen, Verbindungen herzustellen,
Brücken zu schlagen zwischen den Träumen, zwischen dem Geizigen und
dem Sammler, dem Ehrsüchtigen und dem Erotiker, rastlos das
Parallelogramm der Kräfte zu verschieben, in jedem Schicksal den drohenden
Abgrund von Wellenberg und Wellental aufzureißen, sie zu schleudern von
unten nach oben und von oben nach unten und dabei in dieses flackernde
Spiel mit erhitzten Augen zu starren, wie Gobsec, der Wucherer, auf die
Diamanten der Gräfin Restaud, das erlöschende Feuer mit dem Balg immer
wieder aufflammen zu lassen, die Menschen wie Sklaven zu hetzen, nie sie
ruhen zu lassen, sie zu schleppen wie Napoleon seine Soldaten durch alle
Länder von Österreich wieder in die Vendée, über das Meer wieder nach
Ägypten und nach Rom, durch das Brandenburger Tor und wieder vor den
Abhang der Alhambra, über Sieg und Niederlage nach Moskau schließlich –
die Hälfte unterwegs liegen zu lassen, zerschmettert von den Granaten oder
unter dem Schnee der Steppen – die ganze Welt zuerst zu schnitzen wie
Figuren, zu malen wie eine Landschaft und dann das Puppenspiel mit erregten
Fingern zu beherrschen – das war seine, das war Balzacs Monomanie.
Denn er, Balzac, war selbst einer der großen Monomanen, wie er sie in
seinem Werke verewigt hat. Enttäuscht, in allen seinen Träumen
zurückgestoßen von einer rücksichtslosen Welt, die den Anfänger nicht mag
und den Armen, grub er sich ein in seine Stille und schuf sich selbst ein
Symbol der Welt. Eine Welt, die ihm gehörte, die er beherrschte und die mit
ihm zugrunde ging. Wirkliches stürzte an ihm vorbei, und er griff nicht
danach, er lebte eingeschlossen in seinem Zimmer, festgenagelt an den
Schreibtisch, lebte in dem Wald seiner Gestalten, wie Elie Magus, der
Sammler, zwischen seinen Bildern. Von seinem fünfundzwanzigsten Jahre an
hat ihn die Wirklichkeit kaum – nur in Ausnahmen, die dann immer zu
Tragödien wurden – anders interessiert als ein Material, als Brennstoff, um
das Schwungrad seiner eigenen Welt zu treiben. Fast bewußt lebte er am
Lebendigen vorbei, wie im ängstlichen Gefühle, daß eine Berührung dieser
beiden Welten, der seinen und der der anderen, immer eine schmerzhafte
werden müßte. Abends um acht Uhr ging er ermattet zu Bette, schlief vier
Stunden und ließ sich um Mitternacht wecken; wenn Paris, die laute Umwelt,
ihr glühendes Auge schloß, wenn Dunkel über das Rauschen der Gassen fiel,
die Welt entschwand, begann die seine zu erstehen, und er baute sie auf,
neben der anderen, aus ihren eigenen zerstückten Elementen, lebte durch
Stunden einer fiebernden Ekstase, unablässig die ermattenden Sinne mit
schwarzem Kaffee wieder aufpeitschend. So arbeitete er zehn, zwölf,
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Drei Meister
Balzac - Dickens - Dostojewski
- Title
- Drei Meister
- Subtitle
- Balzac - Dickens - Dostojewski
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1920
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 134
- Keywords
- Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Romain Rolland als Dank für seine unerschütterliche Freundschaft in lichten und dunklen Jahren 5
- Balzac 7
- Dickens 29
- Dostojewski 50
- Einklang 51
- Das Antlitz 54
- Die Tragödie seines Lebens 56
- Sinn seines Schicksals 66
- Die Menschen Dostojewskis 77
- Realismus und Phantastik 90
- Architektur und Leidenschaft 103
- Der Überschreiter der Grenzen 113
- Die Gottesqual 121
- Vita Triumphatrix 131