Page - 19 - in Drei Meister - Balzac - Dickens - Dostojewski
Image of the Page - 19 -
Text of the Page - 19 -
leidenschaftliche Beteiligtsein an den Genüssen seiner Kreaturen. Denn er
war es ja, der jetzt die zehn Louis hinwarf auf den Spieltisch, zitternd stand,
während die Roulette sich drehte, der jetzt die klingende Flut der Gewinste
mit heißen Fingern einstrich, er war es, der jetzt im Theater den großen Sieg
erfocht, der jetzt mit Brigaden die Höhen stürmte, mit Pulverminen die Börse
in ihren Grundfesten erbeben ließ; alle die Lüste seiner Kreaturen gehörten ja
ihm, sie waren die Ekstasen, in denen sein äußerlich so armes Leben sich
verzehrte. Er spielte mit diesen Menschen so wie Gobsec, der Wucherer, mit
den Gequälten, die hoffnungslos zu ihm kamen, um sich Geld auszuborgen,
die er aufschnellen ließ an seiner Angel, deren Schmerz, Lust und Qual er nur
prüfend mitansah als das mehr oder minder talentvolle Sichgebärden von
Schauspielern. Und sein Herz spricht unter dem schmutzigen Kittel Gobsecs:
„Glauben Sie, daß es nichts bedeutet, wenn man so in die verborgensten
Falten des menschlichen Herzens eindringt, wenn man so tief darin eindringt
und es in seiner Nacktheit vor sich hat?“ Denn er, der Zauberer des Willens,
schmolz Fremdes zu Eigenem um, Traum zu Leben. Man erzählt von ihm,
daß er in seiner Jugend, als er in seiner Mansarde trockenes Brot, seine
ärmliche Mahlzeit, verzehrte, sich auf den Tisch mit Kreide die Randspur von
Tellern gezeichnet habe und in ihre Mitte die Namen der erlesensten
Lieblingsgerichte geschrieben, um so im trockenen Brot nur durch die
Suggestion des Willens den Geschmack der verschwenderischesten Speisen
zu spüren. Und so wie er hier den Geschmack zu schmecken meinte, wie er
ihn wirklich schmeckte, so hat er sicherlich alle Reize des Lebens in den
Elixieren seiner Bücher unbändig in sich getrunken, so eigene Armut
betrogen mit dem Reichtum und der Verschwendung seiner Knechte. Er, der
ewig von Schulden Gehetzte, von Gläubigern Gequälte, empfand sicherlich
einen geradezu sinnlichen Reiz, wenn er hinschrieb: Hunderttausend Francs
Rente. Er war es, der in den Bildern von Elie Magus wühlte, der diese beiden
Gräfinnen liebte als ihr Vater Goriot, der gipfelhoch mit Seraphitus über die
niegesehenen Fjorde Norwegens aufstieg, der mit Rubempré die
bewundernden Blicke der Frauen genoß, er, er selbst war es, für den er aus all
diesen Menschen die Lust wie Lava aufschießen ließ, denen er Glück und
Schmerz aus den hellen und dunklen Kräutern der Erde braute. Kein Dichter
war je mehr Mitgenießer seiner Gestalten. Gerade an jenen Stellen, wo er den
Zauber des so sehr ersehnten Reichtums schildert, spürt man stärker als in den
erotischen Abenteuern den Rausch des Selbstbezauberten, die
Haschischträume des Einsamen. Das ist seine innerste Leidenschaft, dieses
Auf- und Abströmen von Zahlen, dieses gierige Gewinnen und Zerrinnen von
Summen, dieses Schleudern von Kapitalien von Hand zu Hand, das
Schwellen der Bilanzen, der Wettersturz der Werte, diese Stürze und
Aufstiege ins Grenzenlose. Millionen läßt er wie Ungewitter über Bettler
hereinbrechen, Kapitale wieder in weichen Händen wie Quecksilber
19
Drei Meister
Balzac - Dickens - Dostojewski
- Title
- Drei Meister
- Subtitle
- Balzac - Dickens - Dostojewski
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1920
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 134
- Keywords
- Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Romain Rolland als Dank für seine unerschütterliche Freundschaft in lichten und dunklen Jahren 5
- Balzac 7
- Dickens 29
- Dostojewski 50
- Einklang 51
- Das Antlitz 54
- Die Tragödie seines Lebens 56
- Sinn seines Schicksals 66
- Die Menschen Dostojewskis 77
- Realismus und Phantastik 90
- Architektur und Leidenschaft 103
- Der Überschreiter der Grenzen 113
- Die Gottesqual 121
- Vita Triumphatrix 131