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Drei Meister - Balzac - Dickens - Dostojewski
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Page - 74 - in Drei Meister - Balzac - Dickens - Dostojewski

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ins Leben jagen. Er liebt seine Laster, seine Krankheit, das Spiel, seine Bosheit und selbst die Wollust, weil sie eine Metaphysik des Fleisches ist, ein Wille des Genusses ins Unendliche hinein. Goethe will zum Antikisch- Apollinischen, Dostojewski zum Bacchantischen. Er will nicht Olympier, nicht gottĂ€hnlich, sondern nur starker Mensch sein. Seine Moral geht nicht auf KlassizitĂ€t, auf eine Norm, sondern einzig auf IntensitĂ€t. Richtig leben heißt fĂŒr ihn: stark leben und alles leben, beides zugleich, das Gute und das Schlechte, und beides in seinen stĂ€rksten, berauschendsten Formen. Deshalb hat Dostojewski nie eine Norm gesucht, sondern immer nur die FĂŒlle. Neben ihm steht Tolstoi inmitten seines Werkes beunruhigt auf, hĂ€lt inne, lĂ€ĂŸt die Kunst und quĂ€lt sich ein Leben lang, was gut sei, was böse, ob er richtig lebe oder falsch. Tolstois Leben ist darum didaktisch, ein Lehrbuch, ein Pamphlet, das Dostojewskis ein Kunstwerk, eine Tragödie, ein Schicksal. Er handelt nicht zweckmĂ€ĂŸig, nicht bewußt, er prĂŒft sich nicht, er verstĂ€rkt sich nur. Tolstoi klagt sich aller TodsĂŒnden an, laut und vor allem Volke. Dostojewski schweigt, aber sein Schweigen sagt mehr von Sodom, als alle Anklagen Tolstois. Dostojewski will sich nicht beurteilen, nicht verĂ€ndern, nicht verbessern, nur immer eines: sich verstĂ€rken. Gegen das Böse, gegen das GefĂ€hrliche seiner Natur leistet er keinen Widerstand, im Gegenteil, er liebt seine Gefahr als Antrieb, er vergöttert seine Schuld um der Reue willen, seinen Stolz fĂŒr die Demut. Kindlich wĂ€re es darum, das DĂ€monische seines Wesens zu verschweigen (das dem Göttlichen so nahe verschwistert ist), ihn moralisch zu „entschuldigen“ und fĂŒr die kleine Harmonie des bĂŒrgerlichen Maßes zu retten, was die elementare Schönheit des Maßlosen hat. Wer den Karamasoff schuf, die Gestalt des Studenten aus der „Jugend“, den Stawrogin der „DĂ€monen“, den Swidrigailow des „Raskolnikoff“, diese Fanatiker des Fleisches, diese großen Besessenen der Wollust, diese wissenden Meister der Unzucht, dem waren im Leben auch die niedrigsten Formen der Sinnlichkeit persönlich bewußt, denn eine geistige Liebe zur Ausschweifung ist vonnöten, um diesen Gestalten ihre grausame RealitĂ€t zu geben. Seine unvergleichliche Reizbarkeit kannte die Erotik in ihrem doppelten Sinn, kannte die der fleischlichen Trunkenheit, wo sie in den Schlamm taumelt und Unzucht wird, bis zu ihren feinsten geistigen Abstiegen, wo sie zur Bosheit, zum Verbrechen erstarrt, er kannte sie unter allen ihren Masken, und mit wissendstem Blick lĂ€chelt er in ihre Raserei. Und er kennt sie in ihren edelsten Formen, wo die Liebe fleischlos wird, Mitleid, seliges Erbarmen, Weltbruderschaft und stĂŒrzende TrĂ€ne. All diese geheimnisvollen Essenzen waren in ihm und nicht nur in flĂŒchtigen chemischen Spuren, wie bei jedem wahrhaften Dichter, sondern in den reinsten, krĂ€ftigsten Extrakten. Mit sexueller Erregung und einer fĂŒhlbaren Vibration der Sinne ist jede Ausschweifung bei ihm geschildert und vieles 74
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Drei Meister Balzac - Dickens - Dostojewski
Title
Drei Meister
Subtitle
Balzac - Dickens - Dostojewski
Author
Stefan Zweig
Date
1920
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
134
Keywords
Literatur, Schriftsteller
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Romain Rolland als Dank fĂŒr seine unerschĂŒtterliche Freundschaft in lichten und dunklen Jahren 5
  2. Balzac 7
  3. Dickens 29
  4. Dostojewski 50
  5. Einklang 51
  6. Das Antlitz 54
  7. Die Tragödie seines Lebens 56
  8. Sinn seines Schicksals 66
  9. Die Menschen Dostojewskis 77
  10. Realismus und Phantastik 90
  11. Architektur und Leidenschaft 103
  12. Der Überschreiter der Grenzen 113
  13. Die Gottesqual 121
  14. Vita Triumphatrix 131
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