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Drei Meister - Balzac - Dickens - Dostojewski
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Page - 79 - in Drei Meister - Balzac - Dickens - Dostojewski

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Das Leben versöhnt sich dem Ideal; nicht mehr verschwenderisch wirr, sondern zu höchstem Ziel gespart wirken die nun geordneten Kräfte. Die Helden Goethes und aller Deutschen verwirklichen sich zu ihrer höchsten Form, sie werden werktätig und tüchtig: sie erlernen an Erfahrungen das Leben. Die Helden Dostojewskis suchen aber und finden überhaupt kein Verhältnis zum wirklichen Leben: das ist ihre Sonderheit. Sie wollen gar nicht in die Realität hinein, sondern von allem Anfang an über sie hinaus, ins Unendliche. Ihr Schicksal existiert für sie nicht in einem äußern, sondern nur in einem innern Sinn. Ihr Reich ist nicht von dieser Welt. All die Scheinformen von Werten, Titel, Macht und Geld, aller sichtbarer Besitz hat für sie Wert weder als Zweck, wie bei Balzac, noch als Mittel, wie bei den Deutschen. Sie wollen sich in dieser Welt gar nicht durchsetzen, nicht behaupten und nicht ordnen. Sie sparen nicht mit sich, sondern sie verschwenden sich, sie rechnen nicht und bleiben ewig unberechenbar. Das Untüchtige ihres Wesens läßt sie zuerst als müßige und phantastische Träumer erscheinen, aber ihr Blick scheint nur leer, weil er nicht nach außen starrt, er zielt mit Glut und Feuer immer nur zurück in sich selbst, in die eigene Existenz. Der russische Mensch geht auf das Ganze. Sich selbst wollen sie fühlen und das Leben, aber nicht dessen Schatten und Spiegelbild, die äußere Realität, sondern das große mystische Elementare, die kosmische Macht, das Existenzgefühl. Wo immer man tiefer sich eingräbt ins Werk Dostojewskis, überall rauscht als unterste Quelle dieser ganz primitive, fast vegetative fanatische Lebensdrang, das Existenzgefühl, dies ganz urhafte Gelüst, das nicht Glück will oder Leid, die schon Einzelformen des Lebens sind, Wertungen, Unterscheidungen, sondern die ganz einheitliche Lust, wie man sie beim Atmen fühlt. Vom Urquell wollen sie trinken, nicht aus den Brunnen der Städte und Straßen, die Ewigkeit, die Unendlichkeit in sich fühlen und die Zeitlichkeit abtun. Sie kennen nur eine ewige, keine soziale Welt. Sie wollen das Leben weder erlernen, noch bezwingen, gleichsam nackt wollen sie es bloß fühlen und fühlen als Ekstase der Existenz. Weltfremd aus Weltliebe, unwirklich aus Leidenschaft zur Wirklichkeit, muten Dostojewskis Gestalten vorerst etwas einfältig an. Sie haben keine Richtung geradeaus, kein sichtbares Ziel: wie Blinde taumeln und tappen diese doch erwachsenen Menschen in der Welt herum oder wie Trunkene. Sie bleiben stehen, sehen sich um, fragen alle Fragen und rennen ohne Antwort weiter ins Unbekannte: ganz frisch scheinen sie in unsere Welt eingetreten und ihr noch nicht eingewöhnt. Und man versteht diese Menschen Dostojewskis kaum, bedenkt man nicht, daß sie Russen sind, Kinder eines Volkes, das aus einer jahrtausendalten barbarischen Unbewußtheit mitten in unsere europäische Kultur hineingestürzt ist. Von der alten Kultur, vom 79
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Drei Meister Balzac - Dickens - Dostojewski
Title
Drei Meister
Subtitle
Balzac - Dickens - Dostojewski
Author
Stefan Zweig
Date
1920
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
134
Keywords
Literatur, Schriftsteller
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Romain Rolland als Dank für seine unerschütterliche Freundschaft in lichten und dunklen Jahren 5
  2. Balzac 7
  3. Dickens 29
  4. Dostojewski 50
  5. Einklang 51
  6. Das Antlitz 54
  7. Die Tragödie seines Lebens 56
  8. Sinn seines Schicksals 66
  9. Die Menschen Dostojewskis 77
  10. Realismus und Phantastik 90
  11. Architektur und Leidenschaft 103
  12. Der Überschreiter der Grenzen 113
  13. Die Gottesqual 121
  14. Vita Triumphatrix 131
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