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Drei Meister - Balzac - Dickens - Dostojewski
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Page - 95 - in Drei Meister - Balzac - Dickens - Dostojewski

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aufschaut, von der Seite den Fürsten vorsichtig anblickt, ob er ihm nicht mißtraue, wie er stehen bleibt, hoffend, der Fürst würde ihn unterbrechen. Ich sehe, wie der Schweiß auf seiner Stirne perlt, sehe, wie sein Gesicht, das zuerst begeisterte, nun sich immer mehr verkrampft in Angst, sehe, wie er in sich zusammenkriecht, ein Hund, der fürchtet, Prügel zu bekommen, und ich sehe den Fürsten, der selbst alle Anstrengungen des Lügners in sich fühlt und niederhält. Wo ist dies beschrieben bei Dostojewski? Nirgends, nicht in einer einzelnen Zeile, und doch sehe ich jedes Fältchen in seinem Gesicht mit leidenschaftlicher Klarheit. Irgendwo ist da das Arkanum des Visionären in der Rede, im Tonfall, in der Stellung der Silben, und so magisch ist diese Kunst der Wiedergabe, daß selbst durch die unumgängliche Verdickung, die ja jede Übertragung in eine fremde Sprache darstellt, noch die ganze Seele seiner Menschen schwingt. Der ganze Charakter des Menschen ist bei Dostojewski im Rhythmus seiner Rede. Und diese Komprimierung gelingt seiner genialen Intuition oft in einer winzigen Einzelheit, durch eine Silbe fast. Wenn Fedor Karamasoff auf das Briefkuvert der Gruschenka zu ihrem Namen schreibt: „Mein Küchelchen!“ so sieht man das Antlitz des senilen Wüstlings, sieht die schlechten Zähne, durch die ihm der Speichel über die schmunzelnden Lippen rinnt. Und wenn in den „Erinnerungen aus dem Totenhaus“ der sadistische Major beim Stockprügeln „Hie-be, Hie-be“ schreit, so ist in diesem winzigen Apostroph sein ganzer Charakter, ein brennendes Bild, ein Keuchen von Gier, flackernde Augen, das gerötete Gesicht, das Keuchen der bösen Lust. Diese kleinen realistischen Details bei Dostojewski, die sich wie spitze Angelhaken ins Gefühl einbohren und widerstandslos mit ins fremde Erleben reißen, sie sind sein erlesenstes Kunstmittel und gleichzeitig der höchste Triumph des intuitiven Realismus über den programmatischen Naturalismus. Dostojewski verschwendet durchaus nicht diese seine Details. Er setzt ein einziges ein, wo andere Hunderte applizieren, aber er spart sich diese kleinen grausamen Einzelheiten der letzten Wahrheit mit einem wollüstigen Raffinement auf, er überrascht mit ihnen gerade im Augenblick der höchsten Ekstase, wo man sie am wenigsten erwartet. Immer gießt er mit unerbittlicher Hand den Galletropfen Irdischkeit in den Kelch der Ekstase, denn für ihn heißt wirklich und wahrhaftig sein: antiromantisch und antisentimental wirken. Dostojewski ist, nie darf man es eine Sekunde vergessen, nicht nur der Gefangene seines Kontrastes, sondern auch sein Prediger. Es ist seine Leidenschaft, auch in der Kunst die beiden Enden des Lebens, die grausamste, nackteste, kälteste, schmutzigste Wirklichkeit mit den edelsten sublimsten Träumen zu gatten. Er will, daß wir in allem Irdischen das Göttliche fühlen, im Realistischen das Phantastische, im Erhabenen das Gemeine, im lautern Geist das bittere Salz der Erde und immer all dies gleichzeitig. Er will, daß wir zwiespältig genießen, wie er selber zwiespältig empfindet, er will auch hier keine 95
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Drei Meister Balzac - Dickens - Dostojewski
Title
Drei Meister
Subtitle
Balzac - Dickens - Dostojewski
Author
Stefan Zweig
Date
1920
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
134
Keywords
Literatur, Schriftsteller
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Romain Rolland als Dank für seine unerschütterliche Freundschaft in lichten und dunklen Jahren 5
  2. Balzac 7
  3. Dickens 29
  4. Dostojewski 50
  5. Einklang 51
  6. Das Antlitz 54
  7. Die Tragödie seines Lebens 56
  8. Sinn seines Schicksals 66
  9. Die Menschen Dostojewskis 77
  10. Realismus und Phantastik 90
  11. Architektur und Leidenschaft 103
  12. Der Überschreiter der Grenzen 113
  13. Die Gottesqual 121
  14. Vita Triumphatrix 131
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