Page - 98 - in Drei Meister - Balzac - Dickens - Dostojewski
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einen Fehler, einen Verstoß gegen die innere Wahrheit. Welche Kunstbauten
des Geistes und der Vision sind da errichtet, unübersehbar und unzerstörbar!
Der dialektische Zweikampf des Porphyri Petrowitsch mit Raskolnikoff, die
Architektonik der Verbrechen, das logische Labyrinth der Karamasoff, das ist
geistige Architektonik ohnegleichen, fehllos wie Mathematik und doch
berauschend wie Musik. Sie vereinigen die höchsten Kräfte des Geistes mit
den seherischen der Seele zu einer neuen, tieferen Wahrheit, als die
Menschheit sie vordem gekannt.
Aber doch – die Frage muß beantwortet sein –, warum wirkt trotz solcher
dämonischer Vollendung der Wahrheit Dostojewskis Werk, dieses irdischeste
aller Werke, doch wiederum unirdisch auf uns, als Welt zwar, aber doch wie
eine neben oder über unserer Welt, nur nicht sie selbst? Warum stehen wir
innen mit unserem tiefsten Gefühl und sind doch irgendwie befremdet?
Warum brennt in allen seinen Romanen etwas wie künstliches Licht und ist
Raum darinnen wie aus Halluzinationen und Träumen? Warum empfinden wir
ihn, diesen äußersten Realisten, immer mehr als Somnambulen denn als
Darsteller der Wirklichkeit? Warum ist trotz aller Feurigkeit, ja Überhitztheit
doch nicht fruchtbare Sonnenwärme darin, sondern irgendein schmerzhaftes
Nordlicht, blutig und blendend, warum empfinden wir diese wahrste
Darstellung des Lebens, die je gegeben wurde, doch irgendwie nicht als das
Leben selbst? Als unser eigenes Leben?
Ich versuche zu antworten. Das höchste Maß der Vergleiche ist für
Dostojewski nicht zu gering, und am Erhabensten, am Unvergänglichsten der
Weltliteratur können sie gewertet werden. Für mich ist die Tragödie der
Karamasoffs nicht geringer als die Verstrickungen der Orestie, die Epik
Homers, der erhabene Umriß von Goethes Werk. Sie alle, diese Werke, sind
sogar einfältiger, schlichter, weniger erkenntnisreich, weniger
zukunftsträchtig als die Dostojewskis. Aber sie sind doch irgendwie weicher
und freundsamer für die Seele, sie geben Erlösung des Gefühls, während
Dostojewski nur Erkenntnis gibt. Ich glaube: diese ihre Entspannung danken
sie, daß sie nicht so menschlich, nur menschlich sind. Sie haben um sich
einen heiligen Rahmen von strahlendem Himmel, von Welt, einen Atem von
Wiesen und Feldern, einen Sternblick von Himmel, wo sich das Gefühl, das
verschreckte, entspannt hinflüchtet und befreit. Im Homer, mitten in den
Schlachten, im blutigsten Gemetzel der Menschen stehen ein paar Zeilen der
Schilderung, und man atmet salzigen Wind vom Meer, das silberne Licht
Griechenlands glänzt über die Blutstatt, beseligt erkennt das Gefühl den
schmetternden Kampf der Menschen als einen kleinen nichtigen Wahn gegen
das Ewige der Dinge. Und man atmet auf, man ist erlöst von der
menschlichen Trübe. Auch Faust hat seinen Ostersonntag, schwingt die
eigene Qual in die zerklüftete Natur, wirft seinen Jubel in den Frühling der
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Drei Meister
Balzac - Dickens - Dostojewski
- Title
- Drei Meister
- Subtitle
- Balzac - Dickens - Dostojewski
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1920
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 134
- Keywords
- Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Romain Rolland als Dank für seine unerschütterliche Freundschaft in lichten und dunklen Jahren 5
- Balzac 7
- Dickens 29
- Dostojewski 50
- Einklang 51
- Das Antlitz 54
- Die Tragödie seines Lebens 56
- Sinn seines Schicksals 66
- Die Menschen Dostojewskis 77
- Realismus und Phantastik 90
- Architektur und Leidenschaft 103
- Der Überschreiter der Grenzen 113
- Die Gottesqual 121
- Vita Triumphatrix 131