Web-Books
in the Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Weiteres
Belletristik
Drei Meister - Balzac - Dickens - Dostojewski
Page - 120 -
  • User
  • Version
    • full version
    • text only version
  • Language
    • Deutsch - German
    • English

Page - 120 - in Drei Meister - Balzac - Dickens - Dostojewski

Image of the Page - 120 -

Image of the Page - 120 - in Drei Meister - Balzac - Dickens - Dostojewski

Text of the Page - 120 -

Größe eines Schicksals war. Bei ihm hebt sich der Mensch wieder auf, nicht mit dem Blick zu den Frauen, sondern mit der offenen Stirne zu seinem Gott. Seine Tragödie ist größer als die von Geschlecht zu Geschlecht und vom Mann zum Weib. Hat man nun Dostojewski in dieser Tiefe der Erkenntnis, in dieser restlosen Auflösung der Empfindung erkannt, so weiß man: es gibt von ihm keinen Weg wieder zurück ins Vergangene. Will eine Kunst wahrhaft sein, so darf sie von nun an nicht die kleinen Heiligenbilder des Gefühls aufstellen, die er zerschlagen, nie mehr den Roman in die kleinen Kreise der Gesellschaft und Gefühle sperren, nie mehr das geheimnisvolle Zwischenreich der Seele verschatten wollen, das er durchleuchtet. Als erster hat er uns die Ahnung des Menschen gegeben, die Wir als erste selbst sind, im Gegensatz zu der Vergangenheit, differenzierter im Gefühl, weil beladener mit mehr Erkenntnis als alle früheren. Niemand kann ermessen, um wie viel wir in den fünfzig Jahren seit seinen Büchern den Dostojewskischen Menschen schon ähnlicher geworden sind, wie viele Prophezeiungen sich schon in unserem Blute, in unserem Geiste von seiner Ahnung erfüllen. Das Neuland, das er als erster beschritten, ist vielleicht schon unser Land, die Grenzen, die er überwunden, unsere sichere Heimat. Unendliches aus unserer letzten Wahrheit, die wir jetzt erleben, hat er uns prophetisch aufgetan. Er hat der Tiefe des Menschen ein neues Maß gegeben: nie hat ein Sterblicher vor ihm so viel vom unsterblichen Geheimnis der Seele gewußt. Aber wunderbar: so sehr er unser Wissen um uns selbst erweitert, so viel wir an ihm gelernt, nie verlernen wir an seiner Erkenntnis das hohe Gefühl, demütig zu sein und das Leben als etwas Dämonisches zu empfinden. Daß wir bewußter wurden durch ihn, hat uns nicht freier gemacht, sondern nur gebundener. Denn so wenig die modernen Menschen den Blitz, seit sie ihn als elektrisches Phänomen, als Spannung und Entladung der Atmosphäre erkennen und benennen, als minder gewaltig empfinden wie die vorherigen Geschlechter, so wenig kann unsere erhöhte Erkenntnis des seelischen Mechanismus im Menschen die Ehrfurcht vor der Menschheit vermindern. Gerade Dostojewski, der alle Einzelheiten der Seele uns wissend zeigte, dieser große Zerleger, dieser Anatom des Gefühles, gibt gleichzeitig tieferes, universaleres Weltgefühl als alle Dichter unserer Zeit. Und der so tief den Menschen gekannt wie keiner vor ihm, hat wie keiner Ehrfürchtigkeit vor dem Unbegreiflichen, das ihn gestaltet: vor dem Göttlichen, vor Gott. 120
back to the  book Drei Meister - Balzac - Dickens - Dostojewski"
Drei Meister Balzac - Dickens - Dostojewski
Title
Drei Meister
Subtitle
Balzac - Dickens - Dostojewski
Author
Stefan Zweig
Date
1920
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
134
Keywords
Literatur, Schriftsteller
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Romain Rolland als Dank für seine unerschütterliche Freundschaft in lichten und dunklen Jahren 5
  2. Balzac 7
  3. Dickens 29
  4. Dostojewski 50
  5. Einklang 51
  6. Das Antlitz 54
  7. Die Tragödie seines Lebens 56
  8. Sinn seines Schicksals 66
  9. Die Menschen Dostojewskis 77
  10. Realismus und Phantastik 90
  11. Architektur und Leidenschaft 103
  12. Der Überschreiter der Grenzen 113
  13. Die Gottesqual 121
  14. Vita Triumphatrix 131
Web-Books
Library
Privacy
Imprint
Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Drei Meister