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Drei Meister - Balzac - Dickens - Dostojewski
Page - 128 -
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Page - 128 - in Drei Meister - Balzac - Dickens - Dostojewski

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Ein unorganischer Auswuchs der großen Gestalt scheint dieser Fanatiker seiner Rasse zuerst, dieser mitleidlose ekstatische russische Mönch, dieser hochmütige Pamphletist, dieser unwahrhaftige Bekenner. Aber gerade er ist notwendig für die Einheit von Dostojewskis Persönlichkeit. Wo immer wir bei Dostojewski ein Phänomen nicht verstehen, müssen wir seine Notwendigkeit im Kontrast suchen. Vergessen wir nicht: Dostojewski ist immer ein Ja und Nein, die Selbstvernichtung und Selbstüberhebung, der zur Spitze getriebene Kontrast. Und dieser übertriebene Hochmut ist nur das Widerspiel einer übertriebenen Demut, sein gesteigertes Volksbewußtsein nur das polare Empfinden seines überreizten persönlichen Nichtigkeitsempfindens. Er spaltet sich gleichsam selbst in zwei Hälften: in Stolz und in Demut. Seine Persönlichkeit erniedrigt er: man durchsuche die zwanzig Bände seines Werks nach einem einzigen Worte der Eitelkeit, des Stolzes, der Überhebung! Nur Selbstverkleinerung findet man darin, Ekel, Anklage, Erniedrigung. Und alles, was er an Stolz besitzt, gießt er aus in die Rasse, in die Idee seines Volkes. Alles was seiner isolierten Persönlichkeit gilt, vernichtet er, alles was dem Unpersönlichen in ihm, dem Russen, dem Allmenschen gilt, erhebt er zur Vergötterung. Aus dem Unglauben an Gott wird er Gottesprediger, aus dem Unglauben an sich der Verkünder seiner Nation und der Menschheit. Auch im Ideellen ist er der Märtyrer, der sich selbst an das Kreuz schlägt, um die Idee zu erlösen. Das ist sein großes Geheimnis: durch Gegensatz fruchtbar zu werden. Ihn ausspannen ins Unendliche, damit er die ganze Welt umfasse, und dann die ihm entspringende Kraft zur Zukunft wenden. Die andern Dichter schaffen ihr Ideal gewöhnlich aus der Steigerung ihrer Persönlichkeit, indem sie sich selbst nachbilden, gereinigt, verklärt, verbessert, erhoben, indem sie den zukünftigen Menschen gewissermaßen als den geläuterten Typus ihrer selbst betrachten. Dostojewski, der Gegensatzmensch, der schöpferische Dualist, bildet sein Ideal, seinen Gott, durch die Antithese zu sich selbst: er erniedrigt sich, den Lebendigen, zum Negativ. Er will nur der Ton, der Lehm sein, aus dem die neue Form gegossen wird, seinem Links entspricht ein Rechts im zukünftigen Bilde, seiner Tiefe eine Erhebung, seinem Zweifel eine Gläubigkeit, seinem Zwiespalt eine Einheit. „Möge ich selbst untergehen, wenn nur die andern glücklich sind“ – das Wort seines Staretz verwandelt er in Geist. Er vernichtet sich, um in dem zukünftigen Menschen aufzuerstehen. Das Ideal Dostojewskis ist darum: Zu sein, wie er nicht ist. Zu fühlen, wie er nicht fühlt. Zu denken, wie er nicht denkt. Zu leben, wie er nicht lebt. Bis in das Kleinste, Zug um Zug, ist der neue Mensch seiner individuellen Form entgegengesetzt, aus jedem Schatten seines eigenen Wesens ein Licht gebildet, aus jedem Dunkel ein Glanz. Aus dem Nein zu sich selbst schafft er das Ja, das leidenschaftliche zur neuen Menschheit. Bis ins Körperliche 128
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Drei Meister Balzac - Dickens - Dostojewski
Title
Drei Meister
Subtitle
Balzac - Dickens - Dostojewski
Author
Stefan Zweig
Date
1920
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
134
Keywords
Literatur, Schriftsteller
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Romain Rolland als Dank für seine unerschütterliche Freundschaft in lichten und dunklen Jahren 5
  2. Balzac 7
  3. Dickens 29
  4. Dostojewski 50
  5. Einklang 51
  6. Das Antlitz 54
  7. Die Tragödie seines Lebens 56
  8. Sinn seines Schicksals 66
  9. Die Menschen Dostojewskis 77
  10. Realismus und Phantastik 90
  11. Architektur und Leidenschaft 103
  12. Der Überschreiter der Grenzen 113
  13. Die Gottesqual 121
  14. Vita Triumphatrix 131
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