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Drei Meister - Balzac - Dickens - Dostojewski
Page - 132 -
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Page - 132 - in Drei Meister - Balzac - Dickens - Dostojewski

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Kreuz seines Zwiespalts, noch stehen die Nägel der Qual in seinem brüchigen Leibe, aber demütig küßt er das Marterholz dieser Existenz, und die Lippen sind sanft, wie sie zu den Mitbrüdern das große Geheimnis sagen: „Ich glaube, wir alle müssen erst das Leben lieben lernen.“ Und anbricht der Tag aus seinen Worten, apokalyptische Stunde. Aufspringen die Gräber und Kerker: aus der Tiefe stehen sie auf, die Toten und Verschlossenen, alle, alle treten sie heran, Apostel seines Wortes zu sein, aus ihrer Trauer erheben sie sich. Aus den Kerkern drängen sie her, aus der Katorga Sibiriens, klirrend in Ketten, aus Winkelstuben, Bordellen und Klosterzellen, sie alle, die großen Leidenden der Leidenschaft; noch klebt das Blut an ihren Händen, noch brennt ihr geknuteter Rücken, noch sind sie nieder in Zorn und Gebrest, aber schon ist die Klage zerbrochen in ihrem Munde, und ihre Tränen funkeln von Zuversicht. O ewiges Wunder Bileams, Fluch wird Segnung auf ihrer brennenden Lippe, da sie das Hosianna des Meisters hören, das Hosianna, das „durch alle Fegefeuer des Zweifels gegangen“. Die Finstersten sind die ersten, die Traurigsten die Gläubigsten, alle drängen sie vor, dies Wort zu bezeugen. Und aus ihren Mündern, den rauhen und verlechzten, schäumt als großer Choral der Hymnus des Leidens, der Hymnus des Lebens mit der Urgewalt der Ekstase. Alle, alle sind sie zur Stelle, die Märtyrer, das Leben zu lobpreisen. Dimitri Karamasoff, der unschuldig Verdammte, Ketten an den Händen, jauchzt aus der Fülle seiner Kraft: „Alles Leid werde ich überwinden, um mir nur sagen zu können: ‚ich bin‘. Wenn ich mich auch auf der Folterbank krümme, so weiß ich doch, ‚ich bin‘, angeschmiedet auf die Galeere, sehe ich noch die Sonne, und wenn ich sie auch nicht sehe, so lebe ich doch und weiß, daß sie ist.“ Und Iwan, der Bruder, tritt ihm zur Seite und kündet: „Es gibt kein unwiderrufliches Unglück als Totsein.“ Und wie ein Strahl dringt die Ekstase der Existenz in seine Brust, und er jubelt, der Gottesleugner: „Ich liebe dich, Gott, denn groß ist das Leben.“ Aus den Sterbekissen hebt sich, gefalteter Hand, der ewige Zweifler Stefan Trofimowitsch auf und stammelt: „O wie gerne würde ich wieder leben wollen. Jede Minute, jeder Augenblick muß eine Seligkeit des Menschen sein.“ Immer heller, immer reiner, immer erhobener werden die Stimmen. Fürst Myschkin, der Verwirrte, getragen von den schwankenden Flügeln seiner schweifenden Sinne, breitet die Arme und schwärmt: „Ich begreife nicht, wie man an einem Baum vorübergehen kann, ohne glücklich zu sein, daß er ist und daß man ihn liebt … wieviel wundervolle Dinge gibt es doch auf jedem Schritt dieses Lebens, Dinge, die selbst der Verworfenste noch als wundervoll empfindet.“ Der Staretz Sossima predigt: „Die Gott und das Leben verfluchen, verfluchen sich selbst … Wenn du jedes Ding lieben wirst, wird sich dir das Geheimnis Gottes in allen Dingen offenbaren, und schließlich wirst du die ganze Welt mit allumfassender Liebe umspannen.“ 132
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Drei Meister Balzac - Dickens - Dostojewski
Title
Drei Meister
Subtitle
Balzac - Dickens - Dostojewski
Author
Stefan Zweig
Date
1920
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
134
Keywords
Literatur, Schriftsteller
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Romain Rolland als Dank für seine unerschütterliche Freundschaft in lichten und dunklen Jahren 5
  2. Balzac 7
  3. Dickens 29
  4. Dostojewski 50
  5. Einklang 51
  6. Das Antlitz 54
  7. Die Tragödie seines Lebens 56
  8. Sinn seines Schicksals 66
  9. Die Menschen Dostojewskis 77
  10. Realismus und Phantastik 90
  11. Architektur und Leidenschaft 103
  12. Der Überschreiter der Grenzen 113
  13. Die Gottesqual 121
  14. Vita Triumphatrix 131
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