Page - 12 - in Die Liebe der Erika Ewald
Image of the Page - 12 -
Text of the Page - 12 -
Manchmal ĂŒberraschte sie sich dabei, daĂ sie gar nicht das BedĂŒrfnis hatte
zu sprechen, wenn sie bei ihm war. Er spielte oder schwieg, und sie saĂ und
trĂ€umte und fĂŒhlte nur, wie ihre TrĂ€ume immer heller und lichter wurden,
wenn er sprach oder sie anblickte. Das war alles verklungen, kein irrer LĂ€rm
drang mehr vom Tage herĂŒber, nur Stille, Schweigen und silberne
Feiertagsglocken tief im Herzen. Und ein sehnsĂŒchtiges
ZĂ€rtlichkeitsbedĂŒrfnis, ein Erwarten von lieben und leisen Worten, die sie
doch eigentlich fĂŒrchtete, bebte dann in ihr. Sie ahnte, wie sie ganz in seinem
Banne stand, wie er sie mit seiner Kunst beherrschen konnte, Schmerzen und
Jubel geben mit seinen lockenden Tönen; sie fĂŒhlte sich wehrlos seinem Spiel
gegenĂŒber, und so unsĂ€glich arm, weil sie nichts geben konnte und nur
empfing, mit offenen zitternden HĂ€nden bei ihm bettelte.
Es war eine unabÀnderliche Gewohnheit geworden, daà sie mehrmals in
der Woche zu ihm kam. Zuerst waren es Proben zu einem gemeinsamen
Konzert, aber bald konnten sie die wenigen Stunden gar nicht mehr
entbehren. Sie ahnte gar nicht die Gefahr, die in der wachsenden IntimitÀt
ihrer Freundschaft lag, sondern lieĂ die letzte ZurĂŒckhaltung ihrer Seele vor
ihm fallen und offenbarte ihm ihre verborgensten Geheimnisse als ihrem
einzigen Freunde. Sie merkte es oft gar nicht in ihrem heiĂen, fast visionĂ€ren
ErzÀhlen, wie er ihre HÀnde in wachsender Erregung umspannte und
manchmal die Lippen brennend zu ihren Fingern herabsenkte, wÀhrend er ihr
zu FĂŒĂen lag und zuhörte. Und sie erkannte auch nicht, wie er manchmal in
den drÀngendsten und verlangendsten Tönen seiner Geige nur zu ihr
sprach, weil sie in der Musik immer sich selbst suchte und ihre TrÀume. Ein
Verstehen und eine Erlösung war ihr diese Zeit fĂŒr das viele, das sie bisher
nicht laut zu sagen wagte, und noch nicht mehr. Sie wuĂte nur, daĂ eine
solche stille Stunde viel Glanz hineinbrachte in ihren öden, arbeitsvollen Tag
und einen lichten Schein in ihre NĂ€chte. Und mehr wollte sie nicht als still
sein und selig sein; sie verlangte nur einen reichen Frieden in den sie flĂŒchten
konnte, wie zu einem Altar.
Aber sie hĂŒtete sich wohl, ihr GlĂŒck offen zu zeigen; ihre Lippen bargen oft
ein LĂ€cheln reinster Seligkeit mit so herbverschlossener Gewalt vor den
Leuten und vor ihrer Familie, als sei es ein aufquellendes Weinen. Denn sie
wollte ihre Erlebnisse bewahren vor fremden Blicken wie ein Kunstwerk mit
hunderterlei flĂŒchtigen ZusammenhĂ€ngen, das in plumpen Fingern mit einem
bangen Aufschrei zerbricht. Und sie baute kĂŒhle und abgenutzte Alltagsworte
um ihr GlĂŒck und um ihr Leben, so daĂ es durch viele HĂ€nde gehen konnte,
ohne verkannt zu werden und in wertlose Scherben zu zerbrechen.
12
back to the
book Die Liebe der Erika Ewald"
Die Liebe der Erika Ewald
- Title
- Die Liebe der Erika Ewald
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1904
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 114
- Keywords
- Literatur, Liebe, ErzÀhlung, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik