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Die Liebe der Erika Ewald
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Manchmal überraschte sie sich dabei, daß sie gar nicht das Bedürfnis hatte zu sprechen, wenn sie bei ihm war. Er spielte oder schwieg, und sie saß und träumte und fühlte nur, wie ihre Träume immer heller und lichter wurden, wenn er sprach oder sie anblickte. Das war alles verklungen, kein irrer Lärm drang mehr vom Tage herüber, nur Stille, Schweigen und silberne Feiertagsglocken tief im Herzen. Und ein sehnsüchtiges Zärtlichkeitsbedürfnis, ein Erwarten von lieben und leisen Worten, die sie doch eigentlich fürchtete, bebte dann in ihr. Sie ahnte, wie sie ganz in seinem Banne stand, wie er sie mit seiner Kunst beherrschen konnte, Schmerzen und Jubel geben mit seinen lockenden Tönen; sie fühlte sich wehrlos seinem Spiel gegenüber, und so unsäglich arm, weil sie nichts geben konnte und nur empfing, mit offenen zitternden Händen bei ihm bettelte. Es war eine unabänderliche Gewohnheit geworden, daß sie mehrmals in der Woche zu ihm kam. Zuerst waren es Proben zu einem gemeinsamen Konzert, aber bald konnten sie die wenigen Stunden gar nicht mehr entbehren. Sie ahnte gar nicht die Gefahr, die in der wachsenden Intimität ihrer Freundschaft lag, sondern ließ die letzte Zurückhaltung ihrer Seele vor ihm fallen und offenbarte ihm ihre verborgensten Geheimnisse als ihrem einzigen Freunde. Sie merkte es oft gar nicht in ihrem heißen, fast visionären Erzählen, wie er ihre Hände in wachsender Erregung umspannte und manchmal die Lippen brennend zu ihren Fingern herabsenkte, während er ihr zu Füßen lag und zuhörte. Und sie erkannte auch nicht, wie er manchmal in den drängendsten und verlangendsten Tönen seiner Geige nur zu ihr sprach, weil sie in der Musik immer sich selbst suchte und ihre Träume. Ein Verstehen und eine Erlösung war ihr diese Zeit für das viele, das sie bisher nicht laut zu sagen wagte, und noch nicht mehr. Sie wußte nur, daß eine solche stille Stunde viel Glanz hineinbrachte in ihren öden, arbeitsvollen Tag und einen lichten Schein in ihre Nächte. Und mehr wollte sie nicht als still sein und selig sein; sie verlangte nur einen reichen Frieden in den sie flüchten konnte, wie zu einem Altar. Aber sie hütete sich wohl, ihr Glück offen zu zeigen; ihre Lippen bargen oft ein Lächeln reinster Seligkeit mit so herbverschlossener Gewalt vor den Leuten und vor ihrer Familie, als sei es ein aufquellendes Weinen. Denn sie wollte ihre Erlebnisse bewahren vor fremden Blicken wie ein Kunstwerk mit hunderterlei flüchtigen Zusammenhängen, das in plumpen Fingern mit einem bangen Aufschrei zerbricht. Und sie baute kühle und abgenutzte Alltagsworte um ihr Glück und um ihr Leben, so daß es durch viele Hände gehen konnte, ohne verkannt zu werden und in wertlose Scherben zu zerbrechen. 12
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Die Liebe der Erika Ewald
Titel
Die Liebe der Erika Ewald
Autor
Stefan Zweig
Datum
1904
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
114
Schlagwörter
Literatur, Liebe, Erzählung, Schriftsteller
Kategorien
Weiteres Belletristik

Inhaltsverzeichnis

  1. Die Liebe der Erika Ewald 5
  2. Der Stern über dem Walde 46
  3. Die Wanderung 56
  4. Die Wunder des Lebens 61
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