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Die Liebe der Erika Ewald
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Versunkenheit vorübergingen, dann wieder hastende Burschen, vorbeischießende Radfahrer, rasch dahinrollende Wagen mit schwirrenden Rädern, Bilder des Tages und der Gewöhnlichkeit. Aber ihr war alles das so fremd. Wie von ferne, aus einer anderen Welt schaute sie zu, als könnte sie nicht verstehen, warum diese Wesen so eilten und drängten und vorbeistürmten, wenn alle Ziele so klein und verächtlich waren. Als ob es etwas Reicheres und Seligeres geben könne als den großen Frieden, in dessen Bann alle Leidenschaften schlafen und alle Sehnsüchte; der doch wie eine wunderwirkende Quelle war, in deren milder und geheimkräftiger Flut sich alles Kranke und Häßliche ablöste, wie eine lästige Schicht. Und wozu dann alle die Kämpfe und Überwindungen? Und wozu die heiße nimmermüde Sehnsucht, die niemanden zurückweichen läßt? So dachte die Erika Ewald manchmal und lächelte über das Leben. Denn sie wußte nicht, daß auch der Glaube an diesen großen Frieden nur eine Sehnsucht ist, das innigste und unvergänglichste Begehren, das uns nicht zu uns selbst gelangen läßt. Sie glaubte ihre Liebe überwunden zu haben und dachte ihrer, wie man eines Toten gedenkt. Die Erinnerungen bekamen milde, versöhnliche Farben, vergessene Episoden tauchten wieder auf, und zwischen Wirklichkeit und sanfter Träumerei liefen geheime, verbindende Fäden hin und her, bis sie sich unlöslich verwirrt hatten. Denn sie träumte von ihrem Erlebnis wie von einem eigenartigen und schönen Roman, den man vor langem gelesen; seine Gestalten treten langsam wieder heran und sprechen die Worte, die bekannt sind und doch so ferne, alle Räume werden wieder sichtbar, wie erleuchtet von einem plötzlichen aufblitzenden Licht, alles ist wieder wie einst. Und Erika dichtete sich in ihren Gedanken, die sich im Abend berauschten, immer wieder neue Abschlüsse dazu, aber sie fand keinen rechten, denn sie wollte ein mildes und versöhnliches Ende voll Hoheit und reifer Entsagung, mit kühlem freundschaftlichem Händereichen und tiefem Verstehen. Langsam gaben ihr diese romantischen Träume den innigen Glauben, daß auch er jetzt ihrer harre und in tausend seligen Schmerzen gedenke, und diese Idee, die sich in ihr allmählich zu einer unbeugsamen Tatsache verdichtete, ließ das Vertrauen immer sicherer sich entfalten, daß alles noch gut werden müsse und daß eine versöhnende, abschließende Konsonanz die seltsam bewegte Melodie ihrer Liebe erlösen müsse. Nach langen, langen Tagen wagte sich jetzt manchmal ein Lächeln über ihre Lippen, wenn sie ihrer Liebe gedachte mit all ihren bitteren Wunden, die nun vernarben wollten. Denn sie wußte noch nicht, daß ein tiefer Schmerz wie ein finsterer Gebirgsbach ist, der sich unterirdisch, mit unruhvollem Schweigen durch das Gestein wühlt und in ohnmächtigem Zorne lange an ungebahnten Pforten pocht und pocht. Aber einmal zersprengt er die Wand 30
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Die Liebe der Erika Ewald
Title
Die Liebe der Erika Ewald
Author
Stefan Zweig
Date
1904
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
114
Keywords
Literatur, Liebe, Erzählung, Schriftsteller
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Die Liebe der Erika Ewald 5
  2. Der Stern über dem Walde 46
  3. Die Wanderung 56
  4. Die Wunder des Lebens 61
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