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Die Liebe der Erika Ewald
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Die schöne Gräfin Ostrowska hatte im Zuge ein eigenes reserviertes Coupé. Seit der Abfahrt las sie einen französischen Roman, sanft gewiegt von der schaukelnden Bewegung des Wagens. Die Luft des engen Raumes war schwül und getränkt von dem drückenden Dufte vieler welkender Blumen. Schon nickten von den prächtigen Abschiedskörben die weißen Fliedertrauben müde herab wie überreife Früchte, erschlafft hingen die Blüten an den Stengeln, und die schweren und breiten Kelche der Rosen schienen zu welken in der heißen Wolke der berauschenden Düfte. Erstickende Schwüle wärmte diese schweren Duftwellen, die träge niederdrückten, selbst in der sausenden Eile des Zuges. Plötzlich ließ sie mit matten Fingern das Buch sinken. Sie wußte selbst nicht, warum. Ein geheimes Gefühl war es, das sie aufriß. Sie fühlte einen dumpfen schmerzlichen Druck. Ein jäher, unverständlicher beklemmender Schmerz umpreßte ihr Herz. Sie glaubte ersticken zu müssen in dem schwülen betäubenden Dunst der Blumen. Und dieser ängstigende Schmerz wich nicht, sie fühlte jede Schwingung der sausenden Räder, das blinde Vorwärtsstampfen marterte sie unsäglich. Eine plötzliche Sehnsucht packte sie, den eilenden Schwung des Zuges hemmen zu können, ihn zurückzureißen von dem dunklen Schmerz, dem er entgegenstürmte. Nie hatte sie in ihrem Leben eine ähnliche Angst vor etwas Furchtbarem, Unsichtbarem, Grausamem ihr Herz umklemmen gefühlt, als in diesen Sekunden unverständlichen Schmerzes und unbegreiflicher Angst. Und immer wilder wurde dieses unsagbare Gefühl, immer enger der Druck um die Kehle. Wie ein Gebet stöhnte in ihr der Gedanke, daß der Zug anhalten möge. Da plötzlich ein schriller Signalpfiff, der wilde warnende Schrei der Lokomotive und das klägliche knirschende Stöhnen der Bremse. Und verlangsamt der Rhythmus der fliegenden Räder, langsamer und langsamer, dann ein ratterndes Stammeln und ein stockender Stoß… . Mühsam tappt sie zum Fenster, um die kühle Luft zu trinken. Die Scheibe rasselt nieder. Draußen schwarze, stürmende Gestalten … . fliegende Worte von wechselnden Stimmen: ein Selbstmörder… . Unter den Rädern… . Tot… . Auf freiem Feld… . Sie zuckt zusammen. Instinktiv trifft ihr Blick den hohen schweigenden Himmel und drüben die schwarzen rauschenden Bäume. Und über ihnen ein einsamer Stern über dem Walde. Sie fühlt seinen Blick wie eine funkelnde Träne. Sie sieht ihn an und spürt jählings eine Traurigkeit, wie sie sie nie gekannt. Eine Traurigkeit voll Glut und Sehnsucht, wie sie in ihrem eigenen Leben nie war… Langsam rattert der Zug wieder weiter. Sie lehnt in der Ecke und spürt leise 54
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Die Liebe der Erika Ewald
Title
Die Liebe der Erika Ewald
Author
Stefan Zweig
Date
1904
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
114
Keywords
Literatur, Liebe, Erzählung, Schriftsteller
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Die Liebe der Erika Ewald 5
  2. Der Stern über dem Walde 46
  3. Die Wanderung 56
  4. Die Wunder des Lebens 61
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