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Die Liebe der Erika Ewald
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neugierig daneben stand. »Dein Vater erlaubt es und sieht es sogar gerne,« beeilte sich der Maler zu sagen. »Von dir allein hängt die Entscheidung ab, denn zwingen möchte und kann ich dich nicht. Willst du also, Esther?« Er hielt ihr seine große gebräunte Bauernhand einladend entgegen. Sie zögerte einen Augenblick, dann legte sie verschämt und wortlos ihre kleine weiße Hand zustimmend in die des Malers, die sich eine Sekunde lang darum schloß, wie um eine gefangene Beute. Dann gab er sie mit freundlichem Blick frei. Der Wirt staunte über den so rasch abgeschlossenen Handel und rief einige Matrosen von den Tischen herbei, um ihnen das seltsame Geschehnis zu zeigen. Aber das Mädchen, das sich verschämt im Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit fühlte, sprang plötzlich auf und schoß wie der Blitz zur Türe hinaus. Überrascht schauten ihr alle nach. »Donnerwetter,« sagte der Wirt ganz verwundert, »Ihr habt da ein Meisterstück gemacht. Nie hätte ich gedacht, daß das scheue Ding einwilligen würde!« Und wie zur Bekräftigung goß er wieder ein Glas hinab. Der Maler, dem es unbehaglich zu werden begann in dieser Gesellschaft, die langsam vertraulich wurde, warf Geld auf den Tisch, besprach mit dem Wirte alles nähere und schüttelte ihm dankbar die Hand, beeilte sich aber aus der Schenke zu treten, deren Dunst und Lärm ihn anwiderte, und deren saufende und gröhlende Insassen ihn mit Ekel erfüllten. Als er auf die Straße trat, war die Sonne schon gesunken, und nur mattrosa Dämmerung umhüllte noch den Himmel. Der Abend war mild und rein. Mit langsamem Schritt ging der alte Mann heimwärts und dachte der Ereignisse, die ihm so seltsam und so begütigend dünkten wie ein Traum. Und gottesfürchtige Stimmung umfing sein Herz, das selig zu erzittern begann, wie nun von einem Turme die erste Glocke zum Gebete rief und Glockenstimmen von allen Türmen der Runde einfielen, mit hellen und tiefen, dumpfen und freudigen, klingenden und murrenden Stimmen, wie Menschen in Freude und Sorge und Schmerz. Unglaublich dünkte es ihm zwar, daß über ein Herz, das ein Leben lang schlicht im Dunkel geraden Weges gegangen, noch spät die milden Leuchten göttlicher Wunder sich entzündeten, aber er wagte nicht mehr zu zweifeln; und diesen Glanz erträumter Gnade trug er durch das Dunkel der verdämmernden Straßen heimwärts in ein seliges Wachen und einen wundersamen Traum… . 78
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Die Liebe der Erika Ewald
Title
Die Liebe der Erika Ewald
Author
Stefan Zweig
Date
1904
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
114
Keywords
Literatur, Liebe, Erzählung, Schriftsteller
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Die Liebe der Erika Ewald 5
  2. Der Stern über dem Walde 46
  3. Die Wanderung 56
  4. Die Wunder des Lebens 61
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