Seite - 78 - in Die Liebe der Erika Ewald
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neugierig daneben stand.
»Dein Vater erlaubt es und sieht es sogar gerne,« beeilte sich der Maler zu
sagen. »Von dir allein hängt die Entscheidung ab, denn zwingen möchte und
kann ich dich nicht. Willst du also, Esther?«
Er hielt ihr seine große gebräunte Bauernhand einladend entgegen. Sie
zögerte einen Augenblick, dann legte sie verschämt und wortlos ihre kleine
weiße Hand zustimmend in die des Malers, die sich eine Sekunde lang darum
schloß, wie um eine gefangene Beute. Dann gab er sie mit freundlichem Blick
frei. Der Wirt staunte über den so rasch abgeschlossenen Handel und rief
einige Matrosen von den Tischen herbei, um ihnen das seltsame Geschehnis
zu zeigen. Aber das Mädchen, das sich verschämt im Mittelpunkt der
allgemeinen Aufmerksamkeit fühlte, sprang plötzlich auf und schoß wie der
Blitz zur Türe hinaus. Überrascht schauten ihr alle nach.
»Donnerwetter,« sagte der Wirt ganz verwundert, »Ihr habt da ein
Meisterstück gemacht. Nie hätte ich gedacht, daß das scheue Ding einwilligen
würde!«
Und wie zur Bekräftigung goß er wieder ein Glas hinab. Der Maler, dem es
unbehaglich zu werden begann in dieser Gesellschaft, die langsam vertraulich
wurde, warf Geld auf den Tisch, besprach mit dem Wirte alles nähere und
schüttelte ihm dankbar die Hand, beeilte sich aber aus der Schenke zu treten,
deren Dunst und Lärm ihn anwiderte, und deren saufende und gröhlende
Insassen ihn mit Ekel erfüllten.
Als er auf die Straße trat, war die Sonne schon gesunken, und nur mattrosa
Dämmerung umhüllte noch den Himmel. Der Abend war mild und rein. Mit
langsamem Schritt ging der alte Mann heimwärts und dachte der Ereignisse,
die ihm so seltsam und so begütigend dünkten wie ein Traum. Und
gottesfürchtige Stimmung umfing sein Herz, das selig zu erzittern begann,
wie nun von einem Turme die erste Glocke zum Gebete rief und
Glockenstimmen von allen Türmen der Runde einfielen, mit hellen und
tiefen, dumpfen und freudigen, klingenden und murrenden Stimmen, wie
Menschen in Freude und Sorge und Schmerz. Unglaublich dünkte es ihm
zwar, daß über ein Herz, das ein Leben lang schlicht im Dunkel geraden
Weges gegangen, noch spät die milden Leuchten göttlicher Wunder sich
entzündeten, aber er wagte nicht mehr zu zweifeln; und diesen Glanz
erträumter Gnade trug er durch das Dunkel der verdämmernden Straßen
heimwärts in ein seliges Wachen und einen wundersamen Traum… .
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Die Liebe der Erika Ewald
- Titel
- Die Liebe der Erika Ewald
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1904
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 114
- Schlagwörter
- Literatur, Liebe, Erzählung, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik