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Die Liebe der Erika Ewald
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Mädchen nur in den Weg gewiesen worden sei, um zum wahren Glauben bekehrt zu werden. Nicht an ihm sollte das Wunder gewirkt werden, sondern er sollte es wirken. Er wollte in ihrem Blicke die tiefe Heilandssehnsucht sehen, die die Gottesmutter selbst getragen haben mußte, als sie mit seligem Erwarten seiner Erscheinung entgegenbangte. Er wünschte ihr Wesen erst mit Gläubigkeit zu erfüllen, um eine Madonna schaffen zu können, in der noch die Schauer der Verkündigung beben, aber schon vereint mit dem süßen Vertrauen der Erfüllung. Und rings dachte er sich eine milde Landschaft in Vorfrühlingsstimmung, weiße Wolken, die wie Schwäne durch die Luft wanderten, als zögen sie an unsichtbaren Fäden den warmen Frühling hinter sich, ein erstes zartes Grün, das der Auferstehung entgegendrängte und schüchterne Blumen, die wie mit dünnen Kinderstimmen die große Seligkeit verkündeten. Aber des Kindes Augen waren ihm noch zu verschüchtert und zu demutsvoll; die mystische Flamme der Verkündigung und der Hingebung an eine dunkle Verheißung wollte sich noch nicht in diesen unruhigen Blicken entzünden, in denen noch der tiefe verschleierte Schmerz des Volkes lastete und manchmal der flackernde Trotz der Auserwählten, die mit ihrem Gotte gehadert. Noch kannten sie die Demut nicht und nicht die sanfte unirdische Liebe. Er suchte sorgfältige und vorsichtige Wege, um den Glauben ihrem Herzen näher zu tragen; denn er wußte, wenn er ihn ihr hell und in seiner ganzen Fülle erglühend entgegentrüge wie eine Monstranz, in der die Sonne tausendfarbig funkelt, daß sie nicht erschauernd niedersinken würde, sondern sich schroff und hart abwenden, um das feindliche Zeichen nicht zu sehen. In seinen Mappen ruhten viele Bilder aus der heiligen Geschichte; eigene und viele großer Meister, die er in seiner Lehrzeit und auch später noch manchesmal, von lebhafter Bewunderung überwältigt, nachgezeichnet hatte. Die suchte er nun heraus, und sie betrachteten gemeinsam, Schulter an Schulter die Bilder; bald fühlte er den tiefen Eindruck, den manches der Blätter in ihrer Seele erzeugte, an der Unruhe ihrer blätternden Hände und den raschen Atemzügen, die warm an seine Wangen wellten. Eine farbige Welt von Schönheit tauchte plötzlich vor diesem einsamen Mädchen auf, das seit Jahren nur mehr die verquollenen Gestalten der Schenke, die verrunzelten Gesichter alter schwarzgekleideter Frauen und die schmutzige Plumpheit der schreienden und sich balgenden Straßenkinder gesehn hatte. Und hier waren sanfte, in wunderbare Gewande gehüllte Frauen von bezaubernder Schönheit, traurige und stolze, begehrliche und verträumte, Ritter in Rüstungen und langen Prunkgewanden, die mit diesen Frauen scherzten oder sprachen, Könige mit langwallenden weißen Locken, auf denen goldene Kronen schimmerten, schöne Jünglinge, deren Leib von Pfeilen durchbohrt sich am Marterstamm niedersenkte oder unter Qualen verblutete. Und ein fremdes 80
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Die Liebe der Erika Ewald
Title
Die Liebe der Erika Ewald
Author
Stefan Zweig
Date
1904
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
114
Keywords
Literatur, Liebe, Erzählung, Schriftsteller
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Die Liebe der Erika Ewald 5
  2. Der Stern über dem Walde 46
  3. Die Wanderung 56
  4. Die Wunder des Lebens 61
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