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Die Liebe der Erika Ewald
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hinübergehn mit mir in die helle Stadt, da wurde er ernst und sagte: “Nein, Esther, die Christen würden uns töten”… . Ich erschrak bei dem Wort… .. Und seitdem haßte ich die Christen… .« Sie hielt inne in ihren Träumen, denn es ward wieder alles licht in ihr. Was sie längst vergessen hatte, was verstaubt und verschleiert in ihrer Seele gelegen, funkelte wieder auf. Sie ging wieder die dunklen Ghettogassen entlang bis zu dem Hause. Und mit einem Male waren Zusammenhänge da, alles wurde so klar, und sie erfaßte, daß was sie manchmal für einen Traum hielt, Wirklichkeit und vergangenes Leben war. Mühsam hasteten die Worte den klaren vorübereilenden Bildern nach. »Und damals dieser Abend… . Plötzlich riß man mich aus dem Bett … . ich erkannte meinen Großvater, der mich in den Armen hielt, mit bleichem zitternden Gesicht … . das ganze Haus brauste und zitterte, die Luft war voll Schreien und Lärmen… . Aber jetzt dämmert es mir auf, ich höre wieder, was sie schrieen: die Fremden, die Christen… . Mein Vater schrie es oder meine Mutter… . Ich weiß nicht mehr… . Mein Großvater trug mich hinab in die Dunkelheit durch schwarze Gassen und Straßen… . Und immer das Lärmen und derselbe Schrei: die Fremden, die Christen… . Wie hab’ ich das vergessen können!?… Und dann ein Mann, mit dem wir gehen… . Ich weiß nicht mehr, ich glaube, ich schlief… . Als ich erwachte, waren wir tief im Land, mein Großvater und der Mann, bei dem ich lebe… . Die Stadt sah ich nicht mehr, aber der Himmel war sehr rot, dort, von wo wir gekommen… . Und wir reisten weiter… « Wieder hielt sie inne. Die Bilder schienen sich zu verlieren, langsamer dunkler zu werden. »Ich hatte drei Schwestern… . Sie waren sehr schön, und jeden Abend kamen sie an mein Bett und küßten mich… . Und mein Vater war groß, ich reichte nicht hinauf zu ihm, und so trug er mich oft in seinen Armen… . Und meine Mutter… . Ich habe sie nie mehr gesehen… . Ich weiß nicht, was mit ihnen ist, denn mein Großvater sah weg, wenn ich ihn fragte und schwieg… . Und als er starb, wagte ich niemanden zu fragen… « Und wieder hielt sie inne. Ein Schluchzen brach aus ihrer Kehle mit weher Gewalt. Ganz leise fügte sie bei: »Jetzt weiß ich alles… . Wie konnte das alles so dunkel sein für mich? Mir ist, als stände mein Vater neben mir und spräche das Wort, das er damals mir zur Antwort gesagt – so deutlich klingt es in meinen Ohren… . Nun frage ich niemanden mehr… « Ihre Worte wurden Schluchzen, stummes trostloses Weinen, das in ein tiefes trauriges Schweigen verklang. Das Leben, dessen helles Bild sie noch 84
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Die Liebe der Erika Ewald
Title
Die Liebe der Erika Ewald
Author
Stefan Zweig
Date
1904
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
114
Keywords
Literatur, Liebe, Erzählung, Schriftsteller
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Die Liebe der Erika Ewald 5
  2. Der Stern ĂĽber dem Walde 46
  3. Die Wanderung 56
  4. Die Wunder des Lebens 61
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