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Die Liebe der Erika Ewald
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war hell und warm, das Fenster umschnitt mit seinen Kanten eine lichte und durchsichtige Landschaft: TĂŒrme, die ferne waren und doch ihren goldglĂ€nzenden Schein wie von nahe schimmern ließen, DĂ€cher, von denen der Rauch leise und sanftgekrĂ€uselt sich in das tiefe und wie damastene Himmelsblau verlor, weiße Wolken, die ganz nahe standen, als wollten sie sich niedersenken wie ein flaumiger flatternder Vogel in dieses dunkelflutende Meer der DĂ€cher. Und mit vollen HĂ€nden warf die Sonne ihr Gold herein, Strahlen und tanzende Funken, rollende Kreise wie kleine klirrende MĂŒnzen, schmale schneidende Streifen wie glĂ€nzende Dolche, flatternde Formen ohne Deutung und Sinn, die mit springender Behendigung wie kleine schimmernde Tiere ĂŒber die Bohlen sprangen. Und dieses flirrende und prickelnde Spiel hatte das Kind aus dem Schlafe geweckt, indem es wie mit seinen spitzigen Fingern an die geschlossenen Augenlider pochte, bis sie sich auftaten und blinzelten und starrten. Unruhig begann es sich auf dem Schoße des MĂ€dchens zu bewegen, das es mit unwilliger GebĂ€rde behĂŒtete. Aber es strebte nicht von ihr weg, sondern haschte nur ungeschickt mit seinen kleinen tĂ€ppischen HĂ€nden nach diesen Funken, die es umtanzten und umspielten, ohne daß es sie fassen konnte und dieser Mißerfolg steigerte nur seine Aufmerksamkeit. Immer eiliger suchte es die kleinen dicken Finger zu bewegen, die vom sonnigen Lichte rötlich durchleuchtet die warme Flut des Blutes durchdĂ€mmern ließen, und dieses naive Spiel erfĂŒllte die ganze kleine unfertige Gestalt mit wundersamem Liebreiz, der auch Esther unbewußt bezwang. LĂ€chelnd und innerlich das vergebliche BemĂŒhen ĂŒberlegen bemitleidend, sah sie diesem endlosen Spiele zu, ohne zu ermĂŒden oder sich ihres Widerwillens gegen dieses unschuldige hilflose Wesen zu erinnern. Zum ersten Mal webte ein menschliches und innig menschliches Leben fĂŒr sie in diesem kleinen glatten Körper, dessen fleischige Nacktheit und stumpfe SĂ€ttigung sie bisher nur empfunden; und mit kindlicher Neugier folgte sie jeder Regung. Der alte Mann sah zu und schwieg. Mit Worten fĂŒrchtete er den Trotz und die vergessene Scham in ihr wieder wachzurufen, aber ein befriedigtes LĂ€cheln eines, der die Welt und ihre Wesen kennt, wollte nicht weg von seinen milden Lippen. Nichts Sonderbares sah er in diesem Wechsel, sondern nur ein Berechnetes und Erwartetes, ein Vertrauen auf jene tiefrauschenden Gesetze der Natur, die nie versagen und vergessen, Wahrheit zu werden. Er fĂŒhlte sich wieder so ganz nahe einem jener ewigen, sich immer wieder erneuernden Wunder des Lebens, das aus den Kindern die hingebende GĂŒte der Frauen mit einem Male erstehen lĂ€ĂŸt, die wieder hin zu den Kindern geht, von Werden zu Werden, und so eigene Kindheit nie verliert, sondern zweimal lebt, in sich und in denen, der sie begegnen. Und war dies nicht das Gotteswunder Marias, die Kind war, um nie Frau zu werden, sondern weiterzuleben in ihrem Kinde? Hatte nicht jedes Wunder seinen Spiegel in der Wirklichkeit und jeder erschaute Augenblick eines 90
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Die Liebe der Erika Ewald
Title
Die Liebe der Erika Ewald
Author
Stefan Zweig
Date
1904
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
114
Keywords
Literatur, Liebe, ErzÀhlung, Schriftsteller
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Die Liebe der Erika Ewald 5
  2. Der Stern ĂŒber dem Walde 46
  3. Die Wanderung 56
  4. Die Wunder des Lebens 61
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