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Die Liebe der Erika Ewald
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In diesen Tagen aber geschah noch ein anderes im Leben Esthers, das nichts Seltsames und Unwahrscheinliches war, aber doch wie ein aufwirbelnder Sturm bis in die Tiefen ihres Lebens hinabgriff, daß sie erschauerten in wildem und unverständlichemSchmerz. Sie fühlte die ersten Mysterien der Reife und ward Weib aus einem Kinde. Viel ratlose Verwirrung erfüllte ihre Seele, die niemand führte und unterwies, die einsam einen wundersamen Weg zwischen tiefen Dunkelheiten und mystischem Leuchten ging. Und viel Sehnsucht ward wach, die keinen Weg wußte. Ihr unbändiger Trotz, der früher allen Gespielen abweisend ausgewichen war und jedes unnötige Wort mit ihrer Umgebung vermieden hatte, brannte wie ein Fluch in diesen Tagen dunkler Verlorenheit. Denn so fühlte sie nicht die heimliche Süße, die in diesem Werden sich birgt, wie eine Saat, deren Fülle noch ferne ist, und nur der dumpfe, irre und so einsame Schmerz blieb zurück. Und in diese Unwissenheit glänzten die Legenden und Wunder, von denen der alte Mann ihr erzählt, wie verführerische Lichter, denen ihre Träume in die unsinnigsten Möglichkeiten gierig folgten. Die Erzählung von der milden Frau, deren Bild sie gesehen, die Mutter ward nach wundersamer Verkündigung, durchbebte sie mit einer jähen und fast freudigen Angst. Und doch wagte sie nicht zu glauben, denn noch von anderem war da gesprochen worden, das sie nicht verstand. Aber sie meinte, daß in ihr selbst irgend ein Wunder wirke, weil sie sich so verändert fühlte in ihrem ganzen Empfinden, weil die Welt und alle Menschen um sie mit einem Male anders zu sein schienen, tiefer, seltsamer und voll geheimer Triebe. Alle Dinge schienen zusammen zu gehören und ein inneres Leben zu haben, das sich entgegendrängte und wieder zurückstieß, eine Gemeinsamkeit, von der sie nicht wußte, wo sie sich berge; ihr schien alles zusammenzuhalten, was so vereinzelt stand. Und sie selbst fühlte diese innere Kraft, die sie hineinzog in das Leben und zu den Menschen, aber sie war unsinnig und wußte nicht, wohin sie sich wenden sollte und hinterließ nur diesen gleichen drängenden, pressenden und quälenden Schmerz unverbrauchter Sehnsucht und unterbundener Kraft. Was Esther bisher unmöglich erschienen, versuchte sie jetzt in verzweifelten Stunden, wenn ihre Verlorenheit sich erkannte und die Sehnsucht nach einem Dinge, an das sie sich anklammern könnte, ihr Herz überwältigte. Sie sprach mit ihrem Ziehvater. Bisher war sie ihm ausgewichen, instinktiv, weil sie die Ferne fühlte, die zwischen ihnen war. Aber nun stieß sie dieser blinde Drang über die Schwelle. Sie sprach mit ihm von allen Dingen, erzählte ihm von dem Bilde, griff tief in sich hinein, um aus diesen Stunden etwas emporraffen zu können, was ihm von Wert sein könnte. Und der Wirt, sichtlich erfreut über diese Wandlung klopfte ihr derb begütigend auf die Wangen und hörte zu. Manchmal warf er ein Wort drein, aber es war so lässig undunpersönlich wie die Gebärde, mit der er den 95
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Die Liebe der Erika Ewald
Title
Die Liebe der Erika Ewald
Author
Stefan Zweig
Date
1904
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
114
Keywords
Literatur, Liebe, Erzählung, Schriftsteller
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Die Liebe der Erika Ewald 5
  2. Der Stern über dem Walde 46
  3. Die Wanderung 56
  4. Die Wunder des Lebens 61
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