Page - 29 - in Sportfunktionäre und jüdische Differenz - Zwischen Anerkennung und Antisemitismus – Wien 1918 bis 1938
Image of the Page - 29 -
Text of the Page - 29 -
Erster Weltkrieg und unmittelbare Nachkriegszeit: Hetze gegen „Ostjuden“ 29
ausdemDeutschtumletztlichnurüber ihreZugehörigkeit zur jüdischenReligi-
onsgemeinschaft klar bestimmen (und sei es über jene der Großeltern,wie in
denNürnbergerGesetzen). VomB.D.R.Oes.wurdenauchklar die abgelehnten
undmitdem„Jüdischen“ inVerbindunggesetzten Ideologienbenannt:Libera-
lismus und Internationalismus. Nicht zufällig sind dies Qualitäten, die – im
Kontrast zumTurnen–gerademit demmodernenSport verbundenwurden.
ErsterWeltkriegundunmittelbare
Nachkriegszeit: Hetzegegen„Ostjuden“
Inden1890er-JahrenspieltensichAuseinandersetzungenimBereichderBewe-
gungskulturen vor allem in einembürgerlichen, häufig akademischenMilieu
ab.DieMaßnahmenvonTurn-undSportvereinenund ihrenVerbändenbetra-
feneinenrelativkleinenTeilderBevölkerung–schonalleinedeshalb,weil für
ArbeiterInnen grundlegende Voraussetzungen (z.B. ausreichend Freizeit) für
regelmäßige sportliche Betätigung fehlten. Das änderte sich nach demErsten
Weltkrieg, alsderSport inWienzueinemMassenphänomenwurde,dasbreite
Bevölkerungsschichten erreichte. Die komplizierten Versuche von Identitäts-
konstruktionen in der neuen (deutsch-)österreichischen Republik, verbunden
mitwirtschaftlicherNot,wurdenvondeutschnationalenundchristlichsozialen
Politikern für antisemitische Agitation genutzt,mit demAntisemitenbund als
Instrument und sichtbarstes Zeichen.25 Zielscheibe wurden vor allem die aus
GalizienundanderenGebietender ehemaligenMonarchienachWiengeflüch-
teten Jüdinnen und Juden. So sprach der christlichsoziale Politiker Leopold
Kunschaküberdie „Ostjuden“als „ausländischeVerbrecher, diewieEiterbeu-
len auf unserem Volkskörper parasitär ihre Existenz fristen. [...] Es liegt im
InteressederWohnungsfürsorge, [...]daßmanendlichdarangeht, rücksichtlos
die fremdländischen Juden aus der Stadt hinauszubringen und dadurch die
Stadt von einem Verbrechervolke zu säubern, das nur von Spekulation und
Betrug lebt“.26 Die „Ostjuden“ wurden fürWohnungsnot und andere soziale
Probleme, für Versorgungsprobleme und Schiebertum verantwortlich ge-
macht.27 Das zeigte sich auch in legistischerHinsicht: Die deutschösterreichi-
25WolfgangBenz,HandbuchdesAntisemitismus,Band5:Organisationen, Institutionen,Be-
wegungen (Berlin 2012) 33f.
26WStLA, 1.5.8.B1. Sitzungsprotokoll desGemeinderatesalsLandtag.AnfrageKunschaksam
30.9. 1921, 11006.
27 Vgl. dazu z.B. BeatrixHoffmann-Holter, „Abreisendmachung“. Jüdische Kriegsflüchtlinge
inWien 1914–1923 (Wien 1995).
back to the
book Sportfunktionäre und jüdische Differenz - Zwischen Anerkennung und Antisemitismus – Wien 1918 bis 1938"
Sportfunktionäre und jüdische Differenz
Zwischen Anerkennung und Antisemitismus – Wien 1918 bis 1938
- Title
- Sportfunktionäre und jüdische Differenz
- Subtitle
- Zwischen Anerkennung und Antisemitismus – Wien 1918 bis 1938
- Authors
- Bernhard Hachleitner
- Matthias Marschik
- Georg Spitaler
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Location
- Berlin
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-055331-4
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 376
- Categories
- Geschichte Nach 1918