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44 2 Arierparagrafen und andere Ausschlussmechanismen
lich: „[W]ie es jüdisch-nationaleVereingibt, somußesauchdeutschnationale
gebenkönnen“.85
Doch taugte die Existenz jüdisch-nationaler Vereine tatsächlich als Legiti-
mationbzw.BegründungderArierparagrafenbeianderenVereinen?Einerseits
war es eineUmkehrungvonUrsacheundWirkung,warendochdieGründun-
gen jüdischer Vereine eine Reaktion auf den Ausschluss von Juden aus
deutschnationalen Vereinen. Jüdischer Sport war auch eine Antwort auf die
massiven rassistischen Stereotype des körperlich schwachen Juden. Der Ver-
such, diese Stereotype auf rationaleWeise – durch den Beweis der körperli-
chen Ebenbürtigkeit – widerlegen zu wollen, ist nicht unproblematisch: Im
Wechselspiel vonNormundAbweichung reproduziert derVersuchderWider-
legungeinerseitsdasVorurteil,andererseitswirddadurchdieKonstruktionder
JudenalsdasgrundsätzlicheAndereakzeptiert–wennauchversuchtwird, es
positiv zubesetzen.86
Was sagt derAusschluss von Jüdinnenund Juden imSport der Zwischen-
kriegszeit über jüdischeDifferenz?Die Befürworter vonArierparagrafen kons-
truiertendie JudenalsantagonistischzumDeutschen. InmanchenFällenwur-
de zusätzlich der Zweck verfolgt, Angehörige slawischer Volksgruppen (etwa
Tschechen inWien)auszuschließen. ImMittelpunkt standaberderAusschluss
von Juden, beimWiener Sport-Club wurde sogar explizit formuliert, dass es
ebennicht darumgehe, ein rein „deutscher“Verein zu sein,man sei etwa für
Tschechenoffen.
Der Ausschluss bestimmter Bevölkerungsgruppen hatte eine zentrale
FunktionbeimVersuch,eineGruppenidentität zukonstruieren–gerade,wenn
diesealsunklarbzw.herausgefordert erschien.BeimAlpinismusundSkisport,
die beide zumgrößten Teil außerhalbWiens ausgeübtwurden, in denAlpen,
die auch ideologisch stark als Gegensatz zur Stadt an der Donau aufgeladen
waren, sollten die Arierparagrafenmöglicherweise nicht „nur“ die jüdischen
Mitgliederausschließen,sondernWienerInneninsgesamt.Dazupasstauchder
Ausschlussder sozialdemokratischenNaturfreundeausdenHüttendesAlpen-
vereins.87 Grundsätzlich lässt sich sagen, dass die Tendenz hin zum Aus-
schluss von Judenund Jüdinnen vonÖsterreich ausging, die Diskussion aber
schondeshalbauchaufdasDeutscheReichübergriff,weilbei vielenSportver-
bänden die Vereine im deutschsprachigen Teil der Habsburgermonarchie ei-
nemgesamtdeutschenVerbandangehörten.
85 Illustriertes Sportblatt (24. 11. 1923) 4.
86 DanielWildmann, Der veränderbare Körper. Jüdische Turner, Männlichkeit und dasWie-
dergewinnenvonGeschichte inDeutschlandum1900 (Tübingen 2009) 12.
87 SiehedazuKapitel 8.
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Sportfunktionäre und jüdische Differenz
Zwischen Anerkennung und Antisemitismus – Wien 1918 bis 1938
- Title
- Sportfunktionäre und jüdische Differenz
- Subtitle
- Zwischen Anerkennung und Antisemitismus – Wien 1918 bis 1938
- Authors
- Bernhard Hachleitner
- Matthias Marschik
- Georg Spitaler
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Location
- Berlin
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-055331-4
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 376
- Categories
- Geschichte Nach 1918