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48 3 Wiener Judentum und Wiener Sport in der Zwischenkriegszeit
RunddieHälftederWiener JudenundJüdinnenlebte inderzweitenHälfte
des 19. Jahrhunderts in der Leopoldstadt. Damals umfasste dieser Stadtteil
Wiens nochdie gesamte Fläche zwischenDonaukanal undDonau; 1900wur-
de seinnördlicher Teil, dieBrigittenau, als eigenständigerBezirk vonderLeo-
poldstadt abgetrennt. Bereits im 17. Jahrhundert war Juden und Jüdinnen ein
Teil der Leopoldstadt, der damals noch imVorstadtbereich gelegene „Untere
Werd“,als„Judenstadt“bzw.Ghettozugewiesenworden.4DurchdieKontinui-
tät dieses Siedlungsraums als Wohnort für Juden und Jüdinnen entwickelte
sichdessenumgangssprachlicheBezeichnung „Mazzesinsel“ (nachdemwäh-
rend des jüdischen Pessachfestes verzehrten ungesäuerten Brot). Auf der
„Mazzesinsel“ war es frommen Personen leichter möglich die Schabbat und
Speisegesetze einzuhalten;5 Zuwandernde aus dem ländlichen Raum („Dorf-
juden“), vor allem aber MigrantInnen aus Ungarn, Böhmen, Mähren und
Schlesien sowie Galizien konnten Sprach- und Kulturbarrieren in dieser jü-
disch geprägten Umgebung leichter überwinden.6 Im Jahr 1910 lebten in der
Leopoldstadtund inderBrigittenau insgesamt71.000JudenundJüdinnen; sie
stelltendort 34bzw. 14Prozent der jeweiligenWohnbevölkerung.7Abgesehen
vonder „Mazzesinsel“warendieWohnorteder Judenund Jüdinnenvor allem
aufdieWiener Innenstadt unddenAlsergrundkonzentriert.8
Die Volkszählung des Jahres 1910 weist – im Gegensatz zu den beiden
Volkszählungen 1923 und 1934 – die Form der Erwerbstätigkeit der Bevölke-
rungnachGeschlecht undReligion aus. Dieses Zahlenmaterial ermöglicht die
Aussage, dass sich zu Beginn des Jahrhunderts die Berufsstruktur der jüdi-
schen Bevölkerung stark von jener der nichtjüdischen Bevölkerung unter-
schied: Jüdische Erwerbstätige waren deutlich häufiger selbstständig, unter
den ArbeiterInnen hingegen unterrepräsentiert. Öfter waren sie auch in den
4 Barbara Staudinger, Die Zeit der Landjuden und derWiener Judenstadt 1496–1670/71. In:
EvelineBrugger et al., Geschichte der Juden inÖsterreich (Wien 2006) 229–338, hier 235f. Zur
Brigittenau vgl. Magistratsabteilung für Statistik (Hg.), Statistisches Jahrbuch der StadtWien
für das Jahr 1929 (NeueFolge [imFolgenden:NF], 2. Jahrgang,Wien 1930) 1.
5 RuthBurstyn,DieGeschichtedesLeopoldstädterTempels inWien–1858bis1938. In:Kairos
28 (1986) 228–249, hier 231f. DieAngabenzurWohnraumverteilungbeziehen sichauf 1869.
6 MarshaRozenblit, Die JudenWiens 1867–1914. Assimilationund Identität (Forschungen zur
GeschichtedesDonauraumes 11,Wien/Köln/Graz 1989) 20ff.
7 LeoGoldhammer, Die JudenWiens. Eine statistische Studie (Wien 1927) 10. ZumVergleich:
In Floridsdorf lebten 1910 nur rund 1.800 Juden und Jüdinnen; sie stellten 2,28 Prozent der
BezirkseinwohnerInnen.
8 Burstyn, Geschichte, 231f.; RuthBurstyn, Die „Schiffschul“ –Geschichte,Hintergründe. In:
Historisches Museum der Stadt Wien (Hg.), „Heilige Gemeinde Wien“. Judentum in Wien.
SammlungMaxBerger (Wien 1988) 45–50;Rozenblit, Juden, 80–105.
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Sportfunktionäre und jüdische Differenz
Zwischen Anerkennung und Antisemitismus – Wien 1918 bis 1938
- Title
- Sportfunktionäre und jüdische Differenz
- Subtitle
- Zwischen Anerkennung und Antisemitismus – Wien 1918 bis 1938
- Authors
- Bernhard Hachleitner
- Matthias Marschik
- Georg Spitaler
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Location
- Berlin
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-055331-4
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 376
- Categories
- Geschichte Nach 1918