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„Bodenständigkeit“ als Metapher 135
„Bodenständigkeit“ alsMetapher
Matthias Marschik und Bernhard Hachleitner
Im Jahr 1923, als dieDiskussionenumdie (Nicht-)Zugehörigkeit von Juden im
Sportkontext imZusammenhangmitderEinführungvonArierparagrafeneinen
Höhepunkt erreichten, verfasste Fritz Baar – Journalist, Sportler und Bruder
des prominentenHakoah-Funktionärs Arthur Baar – einenArtikel in der zio-
nistischenWienerMorgenzeitung. In ZusammenhangmitderFragederAnzahl
derausländischenSpieler (daruntervieleungarischeJuden) imWienerFußball
kritisierte er dieVerwendungdesBegriffs „bodenständig“:
„Der ‚Sport-Montag‘ spricht von einer ‚bodenständigenWiener Sportgemeinde‘ und von
einem‚berechtigtenUnmut‘.DasWort ‚bodenständig‘wurde inderPolitikderart oftmiß-
braucht,daßwiresalsgefährlichbezeichnenmüssen,diesesWort indieSportpublizistik
zubringen.Wer ist eigentlichdie ‚bodenständigeWienerSportgemeinde‘undgegenwen
kann sich ihr ‚berechtigter Unmut‘ richten? Die Unmuterwecker können dochwohl nur
die ‚fremdländischen‘ Spieler sein, da es demerbeingesessenenWiener doch ‚wurst‘ ist,
wer zusieht, oder welcher Herkunft ein Schiedsrichter ist. Wir möchten aber die Frage
aufwerfen,ob [dieRapid-Spieler]Uridil,Wessely,MachekoderWondrak ‚bodenständiger‘
sind,wie Schaffer. Der Namedes Letzteren beweist zur Genüge, daß ermit demWiener
Deutschtumviel verwandter ist,wiedieHütteldorfer Spieler. Schaffer ist einungarischer
Schwabe, dessenAussehendie germanischeAbkunft bestätigt,währendUridil,Wessely,
Machek oderWondrakunstreitbar Tschechenstämmlinge sind. [...] Er [der Sport-Montag]
nennt sicherlich die Spieler bodenständig, die inWien aufgewachsen sind und inWien
ihre sportliche Entwicklung genommen haben.Wir sind aber der Ansicht, daß es unter
den gegebenen Verhältnissen keinen Menschen etwas angeht, woher die Vereine ihre
Spieler beziehen.“97
Baar verweist hier einerseits auf die Signifikanz des Begriffs „bodenständig“
impolitischenKontext,wo er schon länger eineRolle spiele, andererseits auf
die mit ihm verbundene Widersprüchlichkeit und Unschärfe. Ganz neu war
seine Verwendung im Sportdiskurs allerdings nicht. So wurde, wie erwähnt,
schon 1919 gegendie Errichtung eines Sportplatzes derHakoah in Floridsdorf
ins Treffengeführt, derVerein sei andiesemOrt „nicht bodenständig“.Dieses
Argumentwarunteranderemvom(jüdischen)FunktionärdesFloridsdorferAC
SiegfriedSamuelDeutschvorgebrachtworden.98
„Belonging“, zugehörig zu sein – oder eben nicht dazuzugehören – defi-
nierte Rahmenbedingungen wie Kontexte der Innensichten wie Außenwahr-
97WienerMorgenzeitung (13.6. 1923) 9.
98 ÖStA,AdR,Soziales,Arbeit, Gesundheit undSport, BM f. SozialeVerwaltung, 1. Republik,
BestandVolksgesundheit, Karton 1638, 27668.
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Sportfunktionäre und jüdische Differenz
Zwischen Anerkennung und Antisemitismus – Wien 1918 bis 1938
- Title
- Sportfunktionäre und jüdische Differenz
- Subtitle
- Zwischen Anerkennung und Antisemitismus – Wien 1918 bis 1938
- Authors
- Bernhard Hachleitner
- Matthias Marschik
- Georg Spitaler
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Location
- Berlin
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-055331-4
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 376
- Categories
- Geschichte Nach 1918