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„Bodenständigkeit“ als Metapher 141
„Bodenständig“ imSportkontext
Gerade inderSportberichterstattungderErstenRepublikwurdehäufigund in
unterschiedlichsten Bedeutungenmit dem Begriff der Bodenständigkeit ope-
riert. Zentrales Element dieser Diskussionenwar die – bis in die 1950er-Jahre
evidente – „Bezirksanhängerschaft“,123 also die These bzw. Forderung, dass
einVerein ein bestimmtes „Grätzel“, einen konkretenGemeindebezirk, reprä-
sentierensolle: ImIdealfall solltensichAnhängerInnenschaft, aberauchSpie-
lerundFunktionäre, aus jenemBezirk rekrutieren, indemStadionoderSport-
platz lagen.
Was für kleineVereine selbstverständlichwar, nämlichdie lokaleVerbun-
denheit,wurde jedochunter demTitel der Bodenständigkeit imgleichenMaß
auch von denGroßklubs eingefordert. Erfolg, aber auch die Beliebtheit eines
Vereins wurden vielfach auf ihre regionale Verwurzelung zurückgeführt. Das
galt etwa für den Sportklub Rapid,124 aber auch für andere erfolgreiche Vor-
stadtvereinewiedenSCWackerausMeidling.SohießesetwanacheinemSieg
dieses Teams: „Die Meidlinger Mannschaft ist eben durchaus bodenständig,
undfremdeElementestörendortvielmehr,als sieNutzenbringenkönnen.“125
Kulturell verwoben sollten freilich nicht nur Vereine und Funktionäre,
Spieler und Publikum sein, sondern auch die Sportarten. So hieß es etwa im
Wassersport, im Gegensatz zu vielen anderen Zweigen sei das Turmspringen
inWiennichtbodenständig,diegeringeZahlderErfolgedahernaheliegend.126
AllerdingskonntedieBodenständigkeitausSichtderPresseauchübertrie-
ben werden, denn sie konnte dazu führen, dass die AnhängerInnen nur die
Spiele auf demeigenen Platz besuchten. So befürchtete das Sport-Tagblatt ei-
nen schwachenBesuchbei einemSpiel zwischendemWiener Sport-Clubund
demFAC auf der HohenWarte: „DerWiener Sportklub hat ja einen gewissen
Anhängerkreis, aberman sagt den Leuten nach, daß für sie dieWeltmit den
Grenzen von Hernals endige, der Floridsdorfer Anhang, soweit er überhaupt
besteht, ist ebenfalls allzu bodenständig, das heißt, auch er geht nicht gern
auf fremdePlätze.“127
123 RomanHorak, MatthiasMarschik, VomErlebnis zurWahrnehmung. DerWiener Fußball
und seineZuschauer 1945–1990 (Wien 1995) 147–151.
124 Vgl. dazu JakobRosenberg,GeorgSpitaler,Grün-weißuntermHakenkreuz.DerSportklub
Rapid imNationalsozialismus (1938–1945). UnterMitarbeit vonDomenico JaconoundGerald
Pichler (Wien2011) 40–44, 126f.; JakobRosenberg,GeorgSpitaler, Performative jüdische Iden-
titäten imWiener Fußball der Zwischenkriegszeit. Das Beispiel des SportklubRapid. In:Hödl
(Hg.),Nicht nurBildung, 63–81.
125 Sport-Tagblatt (21. 7. 1926) 1.
126 Sport-Tagblatt (26. 10. 1925) 7.
127 Sport-Tagblatt (16. 3. 1937) 2.
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Sportfunktionäre und jüdische Differenz
Zwischen Anerkennung und Antisemitismus – Wien 1918 bis 1938
- Title
- Sportfunktionäre und jüdische Differenz
- Subtitle
- Zwischen Anerkennung und Antisemitismus – Wien 1918 bis 1938
- Authors
- Bernhard Hachleitner
- Matthias Marschik
- Georg Spitaler
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Location
- Berlin
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-055331-4
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 376
- Categories
- Geschichte Nach 1918