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Tainacher Handschrift
eine für alle Slowenen einheitliche »neuslowenische«
Schriftsprache herausbildete, als auf Anregung von B.
→
Kopitar in der Zeit des »Purismus« aus den tra-
ditionellen verschrifteten Varianten alle veralteten und
calquierten bzw. entlehnten Syntaxmodelle ausgeson-
dert worden waren. Diesem Prozess waren auch die
älteren Kirchenlieder unterworfen. Dem entsprechend
entstanden die neueren Lieder. Über die Korrektur und
das Auflassen der bis dahin üblichen Kirchenlieder be-
richtete mit Missfallen auch Matija → Majar-Zilj-
ski, der in seiner Sammlung alter Lieder (1846) auch
deren Melodien niederschrieb, »um die edlen alten Per-
len dem Vergessen zu entreißen«.
Die allgemeine Einführung der einheitlichen slowe-
nischen schriftsprachlichen Norm, um die in Kärnten/
Koroška U. → Jarnik, A.
M. →
Slomšek, M. Majar-
Ziljski und A. → Janežič besondere Verdienste hat-
ten, forderte ihren Tribut. In Kärnten/Koroška war dies
das Abgehen von einer mehrhundertjährigen münd-
lichen Tradition und der überdialektalen Schrift- und
Sprachtradition der bukovniki sowie der zeitgleichen
schriftlich-normativen Variante des Slowenischen von
O. → Gutsmann. Es existierten also zwei Sprachva-
rianten als Grundlage für die Herausbildung der ein-
heitlichen slowenischen schriftsprachlichen Norm in
Kärnten/Koroška bis zur Mitte des 19. Jh.s, nämlich die
ältere einheimische Variante der bukovniki sowie die
der slow.-krainerischen verschrifteten Schriftsprache
nähere Norm von → Gutsmann. Die Schreiber der
T. H. haben so für die slowenische Sprachgeschichte
wertvolle Texte für die Nachwelt erhalten, die auf allen
Sprachebenen spezifische Besonderheiten der Spracht-
radition der Bukovniki vor der Vereinheitlichung der
slowenischen Schriftsprache wiedergeben. Alle, die zur
T. H. geforscht haben, sind sich einig, dass die Lieder
der Handschrift eine überdialektale Sprachform spie-
geln, die stilistisch und im Hinblick auf die Verskom-
position durchdacht sind, und dass sie eine kultivierte
archaische Sprachvariante wiedergeben, die in ihren
Grundzügen die Laut- und Morphemstruktur sowie
Lexik des → Rosentaler Dialektes (rožansko narečje),
ein Art Rosentaler Koiné wiedergeben. Dabei fließen
funktional Elemente des Jauntaler Dialektes (podjunsko
narečje) ein sowie hie und da Elemente der Kärntner
Sprachnorm von Gutsmann und Elemente der slo-
wenisch-krainischen Sprachnorm. Die dichterische
Gestaltung der Lieder, ihre Aussagekraft und stilisti-
sche Perfektion geben Zeugnis von einem traditionell
gefestigten, literarischen (poetischen) Genre in der Tradition der Kärntner bukovniki, die bis dahin noch
nicht bekannt war. Diese weist eine Suggestionskraft
in der Aussage, eine Souveränität des Ausdrucks und
die Fähigkeit aus, jeden Glaubensinhalt, Gedanken
und jedes Gefühl in angemessenen Worten auszudrü-
cken. Aus der historischen Perspektive bezeugt das ein
hohes Niveau des Ausdrucks, der gesprochenen Spra-
che und der Gesangskultur im slowenischen Sprach-
raum, in dem sprachliche Interferenzen auf der Ebene
des ganzen Landes bestehen, wobei auch syntaktische
Lehn- und gefestigte Calque-Formen verwendet wer-
den. Die Unmittelbarkeit der Empfindung, die erzähle-
rische Plastizität und der Wohlgesang der Lieder wird
vornehmlich mit dem Stil in der Syntax erreicht sowie
mit einer funktionalen Nutzung der Wortfolge in allen
syntaktischen Satzformen und mit einer funktionalen
Auswahl der neuen und der adaptierten Texte (Reim-
form, Bedeutungspaare), weiters mit einer Alternie-
rung der Versformen (davon gibt es über 50) und mit
archaischen und zeitgenössischen Lautelementen des
erwähnten Dialektraumes von Tainach/Tinje hin nach
→ Völkermarkt/Velikovec und nach Klagenfurt/Celo-
vec. In den Liedern finden sich typische barocke bib-
lische Metaphern (Marija ti žvahtna roža [Maria, du
edle Rose], Jezus Sonce romeno [Jesus, du gelbe Sonne]),
oftmals steht das Attribut rechts, wie wir es bereits
aus den → Freisinger Denkmälern kennen (Sin Božji
[Sohn Gottes], Gospa Sveta [Maria heilige]). Verwen-
det werden religiös ritualisierte poetische Stilmittel wie
Metonymien, Automasien usw. (večne vesele = nebesa
[ewige Freude = Himmel]) ebenso wie Bedeutungs-
übertragungen (o ti zgublana, zbiežna ovčica = grešnik
[Oh du verlorenes, verlaufenes Lamm = Sünder]), Ver-
kleinerungsformen als Ausdruck des Feingefühls (lube
dietece [liebes Kindlein], sliednja kapelca [letztes Tröpf-
lein], drivce figove [Feigenbäumchen]) usw. Für einige
Lieder ist der betont gesprochene dialogische Ausdruck
charakteristisch, bei dem Satzteile in einem sinnhaften
Kontext ausgelassen werden (so steht etwa im Lied Nr.
19 Vienahtna pesem [Weihnachtslied] : Še nisiem zaspav
[Ich bin noch nicht eingeschlafen]). Bei anderen tritt
die starke Expressivität der Botschaft in den Vorder-
grund (Lied Nr. 56 wo es heißt : o ti zgublana ovčica
[O du verlorenes Lamm]), was jeweils vom wiederge-
gebenen Inhalt abhängig ist. Jedes Lied ist auf seine
Art ein sprachliches Meisterwerk und erfordert eine
eigenständige inhaltliche und stilistische Erörterung.
Die oberflächliche sprachlich-gestalterische Form, die
Wortwahl, die Syntax und wohlklingende Versform der
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Volume 3 : PO - Ž
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Subtitle
- Von den Anfängen bis 1942
- Volume
- 3 : PO - Ž
- Authors
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Size
- 24.0 x 28.0 cm
- Pages
- 566
- Categories
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Lemmata Band 3 Po–Ž 1049
- Verzeichnis aller AutorInnen/BeiträgerInnen und ihrer jeweiligen Lemmata 1571
- Verzeichnis aller ÜbersetzerInnen und die von ihnen übersetzten Lemmata 1577
- Verzeichnis der BeiträgerInnen von Bildmaterial 1579
- Verzeichnis der Abbildungen 1580
- Synopsis (deutsch/English/slovensko) 1599
- Biographien der Herausgeber 1602