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Volksabstimmung, Kärntner
bis 69 des →
Vertrags von Saint-Germain). Der Gip-
fel dessen war die feierliche einstimmige Erklärung
des Kärntner Landtages vom 28. September 1920, in
der Kärnten/Koroška und Österreich ihren Willen be-
kundeten, den sprachlichen und nationalen Charakter
ihrer slowenischen Landsleute »auf alle Zeiten« schüt-
zen und deren geistige und wirtschaftliche Entfaltung
in gleichem Maße wie jene der deutschen Einwohner
fördern zu wollen. Diese Beteuerungen standen natür-
lich im diametralen Gegensatz zu den Schikanen und
Diskriminierungen auf der österreichischen Seite der
Demarkationslinie, den vielfachen → Internierungen
1919 von als projugoslawisch erachteten oder denun-
zierten slowenischen Intellektuellen, Priestern und
sonstigen Meinungsträgern sowie den Vertreibungen
von Angehörigen der slowenischen Elite 1920 (→ Ver-
treibung 1920).
Die Volksabstimmung wurde unter vertraglich vor-
gesehener internationaler Aufsicht durchgeführt. Die
Vorbereitungen und die Durchführung der Abstim-
mung leitete die internationale Volksabstimmungs-
kommission mit Sitz in Klagenfurt/Celovec. Formell
wurde der korrekte Verlauf der Abstimmung festge-
stellt. Wegen des schweren nationalen Verlustes, wegen
des »Verlustes der Wiege des slowenischen Volkes« ver-
suchte die slowenische Seite in der Folge das Gegenteil
zu beweisen. Doch obwohl einige Unregelmäßigkeiten
festgestellt wurden (die Aufnahme in die Wählerevi-
denz nach dem 29. September 1920, als die österrei-
chische Seite rund 4.000 zusätzliche Wähler »ergänzte«
sowie die Missachtung einiger Bestimmungen des
Friedensvertrages, die sich auf die Durchführung der
Volksabstimmungen bezogen), kann heute mit Sicher-
heit festgestellt werden, dass diese Unregelmäßigkei-
ten nicht entscheidend den Ausgang der Abstimmung
beeinflussten, sondern höchstens das Gesamtergebnis
bestärkten. Es bleibt die kritische Feststellung der slo-
wenischen wie eines Teiles der österreichischen → Ge-
schichtsschreibung, dass die Volksabstimmung nicht
»das richtige Instrument« für die Lösung der nationa-
len Frage in Kärnten/Koroška war.
Auf der feierlichen Sitzung des Kärntner Landtages
am 25. November 1920 waren die Mehrzahl der vor-
plebiszitären Versprechungen bereits vergessen und der
Landesverweser Dr. Arthur Lemisch kündigte bereits
eine rasche Germanisierung der Kärntner Slowenen
an, die in einer Generation vollzogen werden solle.
Die gewaltsame Germanisierung wurde so zur Staa-
tsideologie in Kärnten/Koroška und bis auf wenige Ausnahmen zum Paradigma des künftigen Verhältnis-
ses zwischen beiden Völkern im Land. Die Folge der
so generierten »Heimatgefühle« waren Verfolgungen,
Gewalt und die Verneinung des Existenzrechtes der
identitätsbewussten Kärntner Slowenen, was unmit-
telbar nach der Volksabstimmung zu einem massiven
»Exodus« der Kärntner slowenischen geistlichen und
weltlichen Intelligenz führte (→ Vertreibung 1920).
Dies kann als schwerster und nachhaltigster nachple-
biszitärer Schlag gegen die slowenische Volksgruppe
gewertet werden.
Die Kärntner Slowenen wurden zur Minderheit im
mehrheitlich deutschsprachigen Österreich und wur-
den zudem zum ungewünschten und verdächtigen
Subjekt im Lande abgestempelt, gegen die ein ständiger
»Abwehrkampf« seitens → deutschnationaler Organi-
sationen geführt wurde. Dieser betraf jeden Einzelnen,
der sich als bewusster Slowene deklarierte. Tatsache ist,
dass die Kärntner und die österreichische Bundesebene
lange Zeit die Volksabstimmungsfeierlichkeiten als
Sieg der einen gegen die anderen und als Mittel der
Entzweiung und der Förderung der ethnischen Into-
leranz gegenüber den Slowenen praktizierten und dass
sie nicht den Schritt zu einer historischen Betrachtung
vermochten, wonach bei der Volksabstimmung beide
Optionen legitim und legal waren. Slowenien bzw.
Jugoslawien problematisierte erst nach dem → »An-
schluss« 1938 bzw. nach dem Überfall Hitlerdeutsch-
lands auf Jugoslawien 1941 die staatliche Zugehörigkeit
Südkärntens und forderten nach dem Ende des Zwei-
ten Weltkrieges dessen Eingliederung in Jugoslawien.
Der völkerrechtliche Konflikt wurde auf diploma-
tischem Wege mit der Unterzeichnung des Staatsver-
trages 1955 und der Bestätigung der postplebiszitären
Grenzen der Republik Österreich von 1920/1938 so-
wie mit der Garantie der Rechte der Minderheit been-
det. Trotz aller Versprechen und Beteuerungen wurden
die Slowenen in Kärnten/Koroška im Laufe von neun
Jahrzehnten von einem demografisch bedeutenden Ak-
teur und Mitbewerber für eine führende Partizipation
in der Kärntner Gesellschaft zu einer Gemeinschaft,
deren Bestand insgesamt gefährdet und in so manchen
Gegenden bereits Geschichte ist, die immer wieder
auf die Versprechungen und auf die verfassungsmäßig
gewährleisteten Rechte in Artikel 7 des Staatsvertrags
von Wien – aufgrund des Beitrags zur Wiedererrich-
tung der unabhängigen und demokratischen Republik
Österreich – sowie auf die Rechte aufgrund von Artikel
19 der → Dezemberverfassung von 1867 sowie des Ar-
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Volume 3 : PO - Ž
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Subtitle
- Von den Anfängen bis 1942
- Volume
- 3 : PO - Ž
- Authors
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Size
- 24.0 x 28.0 cm
- Pages
- 566
- Categories
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Lemmata Band 3 Po–Ž 1049
- Verzeichnis aller AutorInnen/BeiträgerInnen und ihrer jeweiligen Lemmata 1571
- Verzeichnis aller ÜbersetzerInnen und die von ihnen übersetzten Lemmata 1577
- Verzeichnis der BeiträgerInnen von Bildmaterial 1579
- Verzeichnis der Abbildungen 1580
- Synopsis (deutsch/English/slovensko) 1599
- Biographien der Herausgeber 1602