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Zweisprachigkeit
gestörten Selbstbildes dem Assimilationsprozess un-
terwarfen, ohne zu merken, dass sie im Grunde Opfer
einer Kärntner →
»Zweisprachigkeitsideologie« waren
(→ Geschichtsschreibung und kognitive Dissonanz).
Kognitiv von Bedeutung ist die Zwei- oder Mehr-
sprachigkeit durchaus, weil sie dem Sprecher zusätzli-
che Begrifflichkeiten zur Verfügung stellt und weil sie
die Möglichkeit bietet, Denkweisen und Denkmuster
aus anderen kulturellen Kreisen zu integrieren. Im
Kontext der gesellschaftlichen Dominanz einer Spra-
che kommen jedoch bei der Reduktion der Alophonie
auf eine einzige, die dominante, Fremdsprache, die
Phänomene der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen,
rechtlichen und sozialen → Relevanz und Redundanz
der Sprache zum Tragen, wobei dies in einer ersten
Phase der Z. noch nicht bewusst als Einschränkung
der Ausdrucksmöglichkeit in der Muttersprache wahr-
genommen wird. Gleichzeitig stellt der Gebrauch von
Fremdwörtern (→ Entlehnung) bei Sprechern von
dominanten Sprachen nicht das subjektive Sprachbe-
wusstsein in gleichem Maße infrage wie bei Sprechern
von gesellschaftlich ohnehin schon diskriminierten
Sprachen, die mit dem Gebrauch von Lehnwörtern
eher dazu tendieren, die eigene sprachliche (ethnische)
Identität infrage zu stellen. In der Folge führt dies zuerst
zu einem funktionalen Code-Switching – und bei feh-
lenden Faktoren subjektiver emotionaler Relevanz der
Muttersprache – zum umfassenden Sprach-Switching
(→ Assimilation, → Gemischtsprachig, → Mischspra-
che, → Germanisierung). Das konsequente Verdrängen
des Slowenischen aus dem kollektiven gesellschaftli-
chen, historischen und mythologischen Bewusstsein,
die Marginalisierung relevanter Lehrinhalte an Schulen
der Volksgruppen und der allgemeinen Curricula sowie
die Germanisierung der Ortstafeln und Ortsnamen im
öffentlichen Raum insgesamt tragen zur Verringerung
der subjektiven Relevanz der Sprache bei (→ »Enteth-
nisierung« ; → Identität, territoriale).
Der jüngste Manifestation des Phänomens der Z.
in Kärnten/Koroška ist schließlich mit der steigenden
Zahl jener Kinder im zweisprachigen Unterricht ver-
bunden, die nicht Slowenisch als Mutter- oder Um-
gangssprache haben bzw. mit denen die Eltern nicht
oder nicht mehr slowenisch gesprochen haben und die
nach Abschluss der schulischen Ausbildung im Slo-
wenischen keine ausreichenden Sprachkenntnisse im
Slowenischen erwerben, der sie zu einer umfassenden
funktionalen Kommunikation im Slowenischen befä-
higen würde (→
Sprachkontakt, → Immersion). Z. im institutionellen Sinn umfasst den Gebrauch
des Slowenischen im rechtsrelevanten Umfeld neben
dem Deutschen, wobei bedeutende Veränderungen in
den Usancen vom literaturüblich kolportierten frühen
vielsprachigen Mittelalter bis in die nationalstaatliche
Neuzeit in der Geschichte auftreten. Die für das 16. Jh.
identifizierte sog. → »windische Ideologie« der Land-
stände und des Adels deutet auf ein aus heutiger Sicht
invertiertes Verständnis der Z. des Landes hin. Die Tat-
sache etwa, dass es in josephinischer Zeit zu → Über-
setzungen von Patenten und Kurrenden ins Slowe-
nische gekommen war, die zwei- oder mehrsprachig
veröffentlicht wurden, weist eher auf die funktionale
Bedeutung des Slowenischen hin, d. h. darauf, dass die
Zielgruppen eben NICHT ›zweisprachig‹ waren. So ist
die zweisprachige deutsch-slowenische Kundmachung
der → Klagenfurter Marktordnung 1793 ein Hin-
weis darauf, dass die slowenischen Marktgeher nicht
Deutsch konnten und sich das Deutsche als → Lingua
franca noch nicht durchgesetzt hatte – und dies ob-
wohl bereits 1784 mit der Einführung des Deutschen
als → Amtssprache unter Joseph II. dieser Sprache
eine besondere gesellschaftliche Funktion und Stellung
zugewiesen wurde. Die institutionelle Z. im Zuge der
verfassungsrechtlichen Reformen von 1849 ist von be-
sonderer Bedeutung, weil sie das Konzept der Z. auf
das ganze Land umsetzt. Die → Ortsrepertorien von
1850 und 1854 wiesen alle angeführten →
Ortsnamen
im gesamten Land zweisprachig, deutsch-slowenisch,
aus. Die doppelsprachigen Editionen zunächst des
→ Reichsgesetzblattes, dann der → Landesgesetzblät-
ter von 1849 bzw. 1850 bis Ende 1859 sind ein weiterer
Hinweis auf ein, dem heutigen Konzept der Z. nicht
entsprechendes, jedoch durchaus integratives Verständ-
nis der Z. als Ausdruck der Binationalität des Landes
(→ Kontinuität, → Landessprache, → Oktroyierte
Märzverfassung, → Landesverfassung 1849). Die ver-
fassungsrechtlichen Reformen von 1867 und 1920 so-
wie deren (Nicht-)Umsetzung bzw. in vielen zentralen
Aspekten die Missachtung der Grundrechte der Slowe-
nen deuten allerdings darauf hin, dass in der Folge das
Konzept der weitreichenden institutionellen Z. aufge-
geben und die Z. nur für die Slowenen in Betracht ge-
zogen wurde.
Im Hinblick auf individuelle Z. im historischen Kon-
text weist Kronsteiner aufgrund von sprachwissen-
schaftlichen Analysen insbesondere der Kirchentexte
bzw. der christlichen → Terminologie im Slowenischen
und im Deutschen auf die frühmittelalterliche Präsenz
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Volume 3 : PO - Ž
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Subtitle
- Von den Anfängen bis 1942
- Volume
- 3 : PO - Ž
- Authors
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Size
- 24.0 x 28.0 cm
- Pages
- 566
- Categories
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Lemmata Band 3 Po–Ž 1049
- Verzeichnis aller AutorInnen/BeiträgerInnen und ihrer jeweiligen Lemmata 1571
- Verzeichnis aller ÜbersetzerInnen und die von ihnen übersetzten Lemmata 1577
- Verzeichnis der BeiträgerInnen von Bildmaterial 1579
- Verzeichnis der Abbildungen 1580
- Synopsis (deutsch/English/slovensko) 1599
- Biographien der Herausgeber 1602