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Steinbreche in den Teppich eingeschaltet. Wo diese Moose überhandnehmen, was auf
nassem kalten Sande im Grunde der Mulden in der Gletscherregion häufig der Fall ist,
gehen diese Weidenteppiche in Moosteppiche über, welche, auf den Schieferbergen der
Centralalpen vorwaltend aus niederen Widerthonen zusammengesetzt, ein Abbild der
arktischen Moostundra darstellen. In der unmittelbaren Nähe des ewigen Schnees kommt
es weder zur Bildung von Grasmatten, noch zur Entwicklung von Azaleenteppichen.
Neben den Moosteppichen finden sich dort nur noch kleine Kräutermatten aus Stein-
brechen und Aretien entwickelt, und auch diese erreichen in der Seehöhe von 3000 Meter
ihre obere Grenze. Die Felswände sind bis zu den höchsten Höhen an den besonnten
Seiten mit unscheinbaren Flechtenschorfen bekleidet und die Firnfelder ab und zu von
der Schneealge wie von Blutstropfen geröthet. Abgesehen von solchen Ausklängen der
Pflanzenwelt ist in dieser Region alles organische Leben erstarrt und erstorben. Der
Senner und Jäger hat dort oben nichts mehr zu gewinnen, nichts mehr zu suchen. Hier
und da betritt vielleicht noch ein ortskundiger Bote die Stein- und Eiswüste, um über
eiues der begletscherteu Joche auf kürzestem Wege in ein benachbartes Thal zu gelangen,
ein kühner Tourist wagt sich gelegentlich noch über die weiten Firnfelder zu den höchsten
Spitzen des Berglandes empor, die Spuren ihrer Tritte sind aber in einigen Wochen
verweht und verschwunden, und nur graue Nebelstreifen wallen dann durch viele Monden
um die ewig beeisten Zinnen unserer Hochgebirge.
Kaum die Hälfte der alpinen Pflanzen ist gleichmäßig über sämmtliche Inseln und
Jnselchen dieses Florengebietes verbreitet. Die Mehrzahl derselben bewohnt nur ein
sehr beschränktes Gebiet und manche sind nur auf die Kuppen einiger Berge beschränkt.
Das gilt nicht nur für die alpinen Pflanzenarten im Balkansysteme und den Karpathen,
sondern auch für jene in den Alpen, ja gerade in letzterem Gebiete erscheinen die alpinen
Pflanzen am buntesten dnrcheinandergewürfelt, und man könnte da mehr als ein Dutzend
kleinerer Bezirke ausscheiden, von welchen jeder durch eine Gruppe nur ihm zukommender
alpiner Pflanzenformen ausgezeichnet ist. Wenn man die Linien, welche die Verbreitung
der einzelnen Alpenpflanzen anschaulich machen, kartographisch aufträgt, so springt vor
Allem in die Augen, daß ein großer Theil dieser Grenzlinien zwei Richtungen einhält.
Die eine Reihe von Linien durchzieht in paralleler Aufeinanderfolge die Alpen von
Nordost nach Südwest, die andere parallele Linienreihe durchschneidet das alpine Gelände
von Nordwest nach Südost. Zahlreiche den Ostalpen angehörende Pflanzenarten, für welche
als Beispiele der keltische Speik, die Schlernhexe, der Bärenfenchel, das dreiblättrige
Windröschen und der windröschenartige Ranunkel angeführt werden können, sind in der
Weise verbreitet, daß sie in den nördlichen Kalkalpen schon in Oberösterreich, Obersteiermark
oder Salzburg eine westliche Grenze finden, während sie in den Centralalpen und Südalpen
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Übersichtsband, 1. Abteilung: Naturgeschichtlicher Teil, Volume 2
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Übersichtsband, 1. Abteilung: Naturgeschichtlicher Teil
- Volume
- 2
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1886
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.77 x 26.41 cm
- Pages
- 344
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch